Gesundheitswirtschaft: Innovationskraft sichern, Effizienzsteigerungen erreichen
Fast jeder sechste Beschäftigte in Deutschland ist in der Gesundheitswirtschaft tätig. Funktionierende Strukturen der Prävention, medizinischen Versorgung und Rehabilitation sowie deren Qualität und Innovationsoffenheit beeinflussen die Arbeitsfähigkeit und Fehlzeiten von Beschäftigten in den Betrieben. Von guten Rahmenbedingungen für die Gesundheitswirtschaft profitieren damit nicht nur die Unternehmen der Branche, sondern die gesamte Wirtschaft. Nicht zuletzt zeigen regionale oder internationale Krisen immer wieder die Bedeutung einer leistungsfähigen und resilienten Gesundheitswirtschaft für die Gesamtwirtschaft auf.
Bestehende Regularien auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene sollten vor diesem Hintergrund auf den Prüfstand gestellt werden, um eine nachhaltige Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Wichtig ist zudem, dass für alle Leistungsbereiche der Gesundheitswirtschaft innovationsoffene Rahmenbedingungen hergestellt werden, die zugleich die Kosten der Gesundheitsversorgung im Blick behalten.
Um auch in Zukunft eine innovative und international wettbewerbsfähige deutsche Gesundheitswirtschaft sicherzustellen, muss der Gesetzgeber Herausforderungen wie den demografischen Wandel, die zeitgemäße Ausbildung und Sicherung der Fachkräfte, die Modernisierung der Versorgungsstruktururen sowie den medizinisch-technischen Fortschritt bei begrenzten Ressourcen stärker berücksichtigen. Zudem sollten zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene Rahmenbedingungen hergestellt werden, die es ermöglichen, das Potenzial von Zukunftsfeldern, wie der Biotechnologie oder der Medizintechnik und Pharmabranche, voll auszuschöpfen. Insbesondere bei der Medizinprodukte-Verordnung sind rasch Nachbesserungen erforderlich, um weitere Lücken in der Gesundheitsversorgung zu vermeiden.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
Die Gesundheitswirtschaft ist durch einen überaus hohen Regulierungsgrad geprägt. Die Unternehmen benötigen Handlungsspielraum und Planungssicherheit Die Potenziale der Gesundheitswirtschaft im Bereich der Innovationen und digitalen Anwendungen können aktuell im gesetzlichen Ordnungsrahmen (zum Beispiel MDR, IVD-R) nur unzureichend zur Entfaltung gebracht werden. Vor dem Hintergrund des zunehmenden globalen Wettbewerbs und der begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen ist es erforderlich, dass ein innovationsoffener und international wettbewerbsfähiger Ordnungsrahmen insbesondere für Start-ups sowie kleine und mittlere Betriebe der Branche in Deutschland sichergestellt wird.
Dazu gehören gleiche Wettbewerbsbedingungen für die einzelnen Akteure in den jeweiligen Leistungsbereichen (vergleiche Kapitel "Forschung und Innovation"). Für eine Marktdurchdringung von Innovationen ist ein transparenter Markt erforderlich. Innovationen und deren Markteinführung dürfen nicht durch innovationshemmende Prozesse wie unnötige bürokratische Hürden erschwert werden. Das zweigliedrige, wettbewerblich gestaltete System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung sorgt für einen schnellen Zugang von Innovationen in die Gesundheitsversorgung. Der Wettbewerb muss dabei fair gestaltet sein.
Die Digitalisierung kann einen wichtigen Beitrag leisten, um den Forschungsstandort Deutschland zu stärken und die Gesundheitsversorgung insbesondere im ländlichen Raum sicherzustellen. Voraussetzung ist, dass die digitale Infrastruktur flächendeckend ausgebaut ist und der Datenschutz nutzerorientiert, sachgerecht und einheitlich ausgelegt wird (vergleiche DIHK-Positionspapier zur Digitalisierung im Gesundheitswesen (PDF, 323 KB)). Insbesondere Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen bringen innovative digitale Lösungen hervor. Diese Unternehmen benötigen ausreichend klinische Daten zu ihren Produkten – etwa hinsichtlich des therapeutischen Nutzens – als Grundlage für einen wirtschaftlichen Erfolg. Voraussetzung für eine Datengenerierung ist auch die Bereitschaft wichtiger Akteure – zum Beispiel Universitätskliniken – zur Zusammenarbeit. Die Interoperabilität der verschiedenen Informationssysteme – etwa über entsprechende Schnittstellen – ist eine wichtige Voraussetzung, um die Chancen der Digitalisierung nutzbar zu machen. Insgesamt benötigen Unternehmen – unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen – einen Zugang zu versorgungsrelevanten und medizinischen Gesundheitsdaten, um Innovationen entwickeln zu können. Schließlich werden tagtäglich große Mengen an Daten (Big Data) erhoben, die bislang kaum für die Entwicklung verbesserter Diagnose- und Therapieformen genutzt werden können. Bei alledem gilt der Grundsatz: Jeder muss die Hoheit über die eigenen Daten haben.
Die europäische Ebene bildet hierbei einen wichtigen Ausgangspunkt für die Digitalisierung: Mit der Gestaltung eines europäischen Datenraumes unterstützt sie die Schaffung eines Binnenmarktes für digitale Gesundheitsleistungen mit europäischen Standards an Zulassung und Datensicherheit.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschritts ist es wichtig, dass mittel- und langfristig eine weitere Verteuerung von Arbeit über eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge vermieden wird. Eine nachlassende wirtschaftliche Dynamik hierzulande würde den finanziellen Druck im Bereich Gesundheit und Pflege weiter verstärken. Dies würde sich negativ auf die Perspektiven der gewerblichen Wirtschaft im Hinblick auf Investition und Beschäftigung am Standort Deutschland auswirken.
Daher sollten, nicht zuletzt wegen der fehlenden Finanzmittel im Gesundheitsfonds, die Strukturen aller Bereiche der Sozialversicherung auf ihre Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit geprüft werden, damit weiterhin eine Gesundheitsversorgung finanzierbar ist, die dem neuesten Stand der Forschung und Entwicklung entspricht. Hier ist auch die Politik gefordert, für eine effiziente Organisation von Versorgungsstrukturen zu sorgen. Dazu zählt auch die Übernahme finanzieller Verantwortung für versicherungsfremde Leistungen, die nicht Aufgabe der Beitragszahlenden ist (vergleiche Kapitel "Fach- und Arbeitskräftesicherung umfassend angehen, Leitlinie "Soziale Sicherung nachhaltig gestalten").
Maßnahmen zur Prävention, zum Beispiel über Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Gesundheitsförderung, helfen Krankheiten vorzubeugen, Fehlzeiten von Mitarbeitenden zu reduzieren und ihre Produktivität zu erhöhen. Insgesamt kann eine stärkere Beachtung von Präventionsmaßnahmen dazu beitragen, die Kosten des Gesundheitssystems im Griff zu behalten. Kosten in Prävention sind volkswirtschaftlich günstiger als die Kosten durch Krankheiten (vergleiche Kapitel "Fach- und Arbeitskräftesicherung umfassend angehen").
Eine systematische Integration innovativer Produkte und Leistungen in die Gesundheitsversorgung sowie eine konsequente Nutzung der digitalen Medizin können zu einem effizienteren Einsatz der Ressourcen beitragen. Auch die Verringerung von ineffizienten Versorgungsstrukturen und Fehlanreizen verbessern die Wirtschaftlichkeit und die Qualität der von Unternehmen in der Gesundheitsbranche erbrachten Leistungen. Verbesserungen sind zum Beispiel bei den Krankenhaus- und Apothekenstrukturen möglich. Auch eine stärkere sektorenübergreifende Versorgung, eine vermehrte ambulante Versorgung und eine konsequentere Digitalisierung über alle Leistungsbereiche hinweg sowie ein Einsatz qualitätsorientierter Vergütungsstrukturen dürften die Rahmenbedingungen verbessern.
Mehr Wettbewerb, etwa durch größere Vertragsfreiheit zwischen Kassen und Leistungserbringern, kann ebenfalls zu höherer Effizienz führen. Für einige Unternehmen ist es wichtig, dass bei den Ausgaben eine angemessene Balance zwischen allen Leistungsbereichen der Gesundheitswirtschaft hergestellt wird.
Die Pandemie hat in besonderem Maße die Bedeutung einer leistungsfähigen und resilienten Gesundheitswirtschaft für die Gesamtwirtschaft aufgezeigt. Für eine resiliente Gesundheitswirtschaft ist es notwendig, dass die internationalen Lieferketten funktionsfähig sind. Denn hierüber erhalten die Unternehmen überwiegend Zugang zu qualifizierten Fachkräften und medizinischen Technologien.
Sowohl Leistungserbringer als auch produzierende Unternehmen der Gesundheitswirtschaft sind im besonderen Maße mit hohen Belastungen durch Nachweis- und Dokumentationspflichten konfrontiert – das gilt vor allem auch bei den Zulassungsverfahren. Rahmenbedingungen für die Unternehmen sollten so gestaltet sein, dass eine Produktion in Deutschland oder Europa möglich ist, zum Beispiel indem schnelle und rechtssichere Plan- und Genehmigungsverfahren sichergestellt und Vorgaben für Ausschreibungen zur Arzneimittelversorgung überdacht werden. Eine politisch angestrebte Autonomie bei der Produktion bestimmter Güter sollte auf der Wettbewerbsfähigkeit der Branche fußen. Insgesamt sollten auch Alternativen zu einer teuren Wiederansiedlung von Produktionen, wie zum Beispiel Vorhalteprämien geprüft werden.
Für die Wachstumsstärke der industriellen Gesundheitswirtschaft sind neben ihrer Innovationskraft auch die Integration in internationale Lieferketten und ein starkes Auslandsengagement von großer Bedeutung. Die exportorientierten Branchen sind nicht zuletzt durch die anspruchsvolle Produktion der innovativen Güter einem intensiven und internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Aufgrund ihrer komplexen Wertschöpfungskette und der strengen Qualitätsvorgaben an medizinische Produkte sind sie von zahlreichen Regulierungen, insbesondere auf EU-Ebene betroffen, wie zum Beispiel die aktuelle IVD-R, die nicht zuletzt durch hohe Bürokratieanforderungen die Unternehmen im Wettbewerb um einen schnellen Marktzugang einschränkt. Für den Exporterfolg in wichtigen Branchen der Gesundheitswirtschaft – Medizintechnik und Pharmabranche – ist eine erfolgreiche Markteinführung, insbesondere im Referenzmarkt Deutschland, jedoch entscheidend. Doppelte Regulierungen im nationalen, europäischen und internationalen Recht sollten vermieden werden. Produktzulassungen in der EU sollten international anerkannt werden.
In Deutschland zeichnet sich seit längerem ein Fachkräftemangel in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft ab, insbesondere im ländlichen Raum. Schon heute können viele Stellen nicht besetzt werden. Dabei sind nicht nur Pflege- und Heilmittelberufe oder Betriebsärzte, sondern auch Tätigkeiten in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen wie der Biotechnologie, der Medizintechnik und Pharmabranche verstärkt betroffen. Dies wirkt sich auf die Innovationskraft sowohl der Gesundheitswirtschaft als auch der gesamten deutschen Wirtschaft aus. Eine höhere Attraktivität der Gesundheits- und Pflegeberufe kann dazu beitragen, mehr junge Menschen, auch aus dem Ausland, für diese Berufe zu gewinnen und den Fachkräftemangel zu verringern.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und medizinisch-technischen Fortschritts sollten Gesundheits- und Pflegeberufe sowie Tätigkeitsfelder weiterentwickelt werden. Hierbei sind auch die rasanten Fortschritte im Bereich der KI und digitalen Gesundheitswirtschaft zu berücksichtigen. Deren Produktentwicklungen helfen, den Fachkräftemangel teilweise abzufedern, Arbeitsteilung zwischen Medizin und Pflege effizienter zu gestalten und den Datentransfer zwischen den Gesundheitsakteuren zu verbessern. Insgesamt gilt es, mehr Durchlässigkeit zwischen den Berufsgruppen zu ermöglichen.