Pfadnavigation

Kollektive Rechtsdurchsetzung: Strategische Klagen limitieren und Prozessfinanzierung regulieren

Cluster 7

© DIHK / Adobe Express, Firefly Image 3

Kollektive Klageinstrumente halten Einzug in vielen europäischen Rechtsordnungen. Dabei finden die Interessen und Risiken für die Unternehmen im Einzelnen und die Wirtschaft im Ganzen nur noch selten Gehör, obwohl diese Instrumente erhebliche Gefahren und Missbrauchspotenziale bergen. Als Beschleuniger wirkt vor allem die Möglichkeit, Klagen durch Prozessfinanzierer fremdfinanzieren zu lassen. Transparenzpflichten fehlen, ebenso Vorgaben für die Mittelherkunft selbst oder die Einflussmöglichkeiten des Investors. Damit wird die prozessuale Gleichheit der Parteien ("equality of arms") stark in Frage gestellt. Bislang agieren Prozessfinanzierer und finanzierte Streitparteien in einem nahezu gänzlich unregulierten Feld. 

Eine eigenständige Kategorie bilden strategische Klagen, die – nicht selten auch in Teilen staatlich finanzierten – NGOs vornehmlich zur Durchsetzung politischer Ziele dienen. Breite Bekanntheit haben zuletzt Klimaklagen erreicht, vom Bundesverfassungsgericht über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bis hin zu Dutzenden Verfahren allein in Deutschland, weltweit handelt es sich um mehrere Hundert Klagen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, die erforderlichen politischen Abwägungen vorzunehmen.

Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:

Mit der sogenannten Verbands- oder Kollektivklagerichtlinie hat der europäische Gesetzgeber einen Rahmen geschaffen, EU-weit ein neues Kollektivklageinstrument einzuführen. Derzeit besteht nach ganz überwiegender Meinung sowohl hinsichtlich der Richtlinie auf europäischer Ebene als auch der deutschen Umsetzung in Gestalt des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDUG) erheblicher Nachbesserungsbedarf.

Dies betrifft zunächst die geringen Hürden (zum Beispiel fehlende Mindesteintragungsdauer in die Liste der qualifizierten Verbraucherverbände, zu niedriges Verbraucherquorum). Darüber hinaus sollte der Anwendungsbereich der kollektiven Abhilfeklage nicht auf weitere EU-Rechtsakte erweitert werden. Vielmehr bedarf der bisherige Katalog der Überprüfung, inwieweit der Anwendungsbereich auf eindeutige Rechtspositionen hin eingeschränkt werden sollte, denn Rechtsunsicherheit darf nicht zulasten der verpflichteten Unternehmen gehen und so die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Wettbewerb schwächen. Kollektivklagen zur Durchsetzung der DSGVO beziehungsweise darauf basierende immaterielle Schadenersatzansprüche lehnen die Unternehmen als missbrauchsanfällig ab.

Die Möglichkeit der Zuhilfenahme eines Prozessfinanzierers sollte aus Sicht der Mehrheit der Wirtschaft für Kollektivklagen zwingend ausgeschlossen werden. Denn den Geschädigten wird in dieser Konstellation zum einen selbst bei erfolgreicher Sammelklage nicht der vollständige Schadenersatz gezahlt – einen hohen prozentualen Anteil (20 bis 50 Prozent) würden diese an den Prozessfinanzierer abgeben. Die hohen Renditeerwartungen von Prozessfinanzierern sind im Kollektivklagebereich aber nicht Teil des zu ersetzenden Schadens und dürfen nicht zulasten der Geschädigten gehen. 

Zudem besteht bei Drittfinanzierung mit Gewinninteresse ein hohes Missbrauchspotenzial, dem nicht allein mit Transparenzvorschriften begegnet werden kann. Insbesondere öffnet das Zusammenspiel aus Kollektivklagen und Prozessfinanzierung Tür und Tor für strategische Klagen, die das Ziel haben, Unternehmen trotz rechtmäßigen Handelns in Verhandlungen zu zwingen und zur Änderung ihres Geschäftsverhaltens zu zwingen oder durch die Notwendigkeit der Verteidigung gegen solche Klagen finanziell zu schädigen. Indem auch in Deutschland Unternehmen auch für rechtmäßiges Handeln gerade in innovativen Sektoren haftbar gemacht werden (so zum Beispiel mit der 11. GWB-Novelle), wird unternehmerisches Handeln unverhältnismäßig belastet. Gleiches gilt für die Risiken der zivilrechtlichen Haftung nach der EU-Lieferkettenrichtlinie.

Es muss darum gehen, einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Verbraucherinteressen und den rechtmäßigen wirtschaftlichen Belangen von Unternehmen herzustellen. Den Verbraucherinteressen ist durch die Einführung weitreichender Kollektivklagebefugnisse bereits erhebliches Gewicht eingeräumt worden. Recht (und Recht erhalten) darf allerdings nicht zum Investitionsobjekt werden. 

EU-Regelungen zur Prozessfinanzierung sollten sich daran orientieren, dass im Bereich der Kollektivklagen Chancengleichheit im Prozess entsteht. Das setzt mindestens die Transparenz der Vereinbarungen mit Prozessfinanzierern für alle Prozessbeteiligten voraus, ebenso dürfen Dritte keinerlei Einfluss auf den Prozess erlangen. Wünschenswert wäre eine gerichtliche Genehmigung der Drittfinanzierung, nach auch materiellrechtlicher Kontrolle auf Sittenwidrigkeit.

In Konstellationen außerhalb von Kollektivklagen kann das Instrument der Prozessfinanzierung eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Prozesskostenhilfemöglichkeiten darstellen. Dies gilt für Individualverbraucherklagen, vor allem aber auch im unternehmerischen Bereich: So können, zum Beispiel KMU so ihre Liquidität schonen. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass es sich bei der Prozessfinanzierung um ein Finanzprodukt handelt, nicht um ein Element effektiven Rechtsschutzes. Insofern sollte die Zulassung und das Marktverhalten der Prozessfinanzierer unter staatliche Aufsicht gestellt werden, eingegliedert in das Modell der Finanzmarktaufsicht oder dieser zumindest in wesentlichen Aspekten nachempfunden. 

Auch im konkreten Anwendungsfall braucht es Transparenz, um missbräuchlichen Effekten vorzubeugen: Wer sich in einem Rechtsstreit eines Prozessfinanzierers bedient, sollte zur vollständigen Offenlegung der Finanzierungsvereinbarung gegenüber allen Beteiligten verpflichtet werden. Aus ihr sollte neben der Identität des Finanzierers, den konkreten Einflussmöglichkeiten im Prozess und der Mittelherkunft auch hervorgehen, ob zwischen dem Finanzierer und dem beklagten Unternehmen eine Beziehung besteht, sei sie in Gestalt einer geschäftlichen Verbindung oder einer Konkurrenzsituation. So kann verhindert werden, dass diese Klagen ohne Kostenrisiko für andere Zwecke entfremdet werden, zum Beispiel, um an Geschäfts- und Produktionsgeheimnisse zu gelangen, die mehr Wert sein können als eine etwaig verlorene Klage. Solche Situationen sind gegenwärtig wegen fehlender Regulierung und Einführung von neuen, der US-Disclosure nachgebildeten Elementen im materiellen Recht (so vor allem in der Produkthaftungs-Richtlinie) wahrscheinlich.

Icon zu den Wirtschaftspolitischen Positionen der IHK-Organisation

© DIHK

Kontakt

Porträtfoto Isabel Blume
Isabel Blume Referatsleiterin mit dem Themenschwerpunkt Recht der Europäischen Union und Internationales Wirtschaftsrecht