Internationaler Handel: Märkte öffnen, Barrieren abbauen, Lieferketten absichern
Offene Märkte und regelbasierter internationaler Handel sind Motoren für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland, Europa und in der Welt. Die international eng vernetzte deutsche Wirtschaft ist auf stabile Lieferketten und faire Handelsregeln angewiesen. Geopolitische und technologische Veränderungen, Nachhaltigkeitsanforderungen, zunehmender Protektionismus und die Erosion multilateraler Regelwerke ändern die internationale Arbeitsteilung von Grund auf. Die EU hat mit der Ausgestaltung ihrer Handelspolitik entscheidenden Einfluss auf die Lieferketten und Investitionen international tätiger deutscher Unternehmen. Sie sollte diese daher beim Ausbau ihrer Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten unterstützen, Protektionismus entgegentreten, Lieferketten durch möglichst multilaterale Regeln absichern und EU-Wirtschaftsinteressen in einer sich zunehmend entkoppelnden Weltwirtschaft souveräner verteidigen.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
Die hoch internationalisierte deutsche Wirtschaft ist angewiesen auf ein wirtschaftlich souveränes Europa, das international für offene Märkte sowie in der Praxis umsetzbare Regeln für Handel und Investitionen eintritt und den eigenen Markt offenhält. Nach Ansicht der Mehrzahl der Unternehmen sollte die Handlungsfähigkeit der EU zur Abwehr wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen anderer Länder gestärkt werden. Eine Abschottung der EU und ihrer Handelspartner sowie eine globale wirtschaftliche Entkopplung schränken den deutschen Außenhandel und damit die Geschäftsmöglichkeiten der Unternehmen hingegen ein. Dazu ist es aus Sicht der großen Mehrheit der Wirtschaft essenziell, protektionistischen Tendenzen entschlossen entgegenzutreten. Bei Handelsschutzmaßnahmen gilt es, das Interesse der Wirtschaftszweige, die von den importierten Waren abhängen, mit dem berechtigten Schutzinteresse gegen wettbewerbswidrige Praktiken internationaler Handelspartner, die EU-Herstellern schaden, abzuwägen. Grundsätzlich sollten Schutzmaßnahmen daher mit Augenmaß angewandt werden. Wichtig ist bei allen Maßnahmen eine frühzeitige und umfassende Einbeziehung der Wirtschaft. Zudem sollte die EU-Marktzugangsstrategie, also die Minderung der Handelshemmnisse bei Handelspartnern, eine Priorität in der EU-Wirtschaftspolitik erfahren. Dies sollte aus Sicht der Betriebe auch insbesondere nicht tarifäre Handelshemmnisse wie etwa "Local Content"-Vorgaben, Bevorzugung in der staatlichen Auftragsvergabe, bürokratische Zulassungsverfahren oder technische Normen umfassen. Darüber hinaus könnte die EU-Marktzugangsstrategie auch nationale Meldeverfahren adressieren, die teilweise enorme Kosten bei Dienstreisen für Unternehmen verursachen (vergleiche Kapitel "Fach- und Arbeitskräftesicherung umfassend angehen").
Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben die Anfälligkeit von Lieferketten für externe Schocks verdeutlicht und unterstreichen den Bedarf, strategische Abhängigkeiten stärker zu analysieren und, wo möglich, abzubauen. Auch die Unternehmerschaft ist sich der geopolitischen Risiken durch strategische Abhängigkeiten von einzelnen Ländern, wie zum Beispiel von China, noch stärker als bisher bewusst. Gleichzeitig sollte der wirtschaftlichen Entkopplung von einzelnen Ländern politisch kein Vorschub geleistet werden. Risikomanagement ist in erster Linie eine Aufgabe der verantwortlichen Unternehmen. Dabei sind sie auf eine EU angewiesen, die international mit einer Stimme spricht, um europäische Wirtschaftsinteressen zu vertreten. Ziele einer EU-Strategie für wirtschaftliche Sicherheit sollte die Diversifizierung und das zielgenaues De-Risking sowie die Öffnung neuer Märkte für resiliente und nachhaltige Lieferketten sein. Änderungen von Lieferketten sollten generell unternehmerische Entscheidungen bleiben. Maßnahmen, die in Richtung "Managed Trade" gehen – also staatlich gelenkten Handel – sind aus Sicht der deutschen Wirtschaft sehr kritisch zu bewerten. Mit Blick auf zukünftige geoökonomische Herausforderungen in kritischen Sektoren sollten zudem die digitale Souveränität der EU gestärkt werden. Dies gilt auch für den Bereich der Weltraumforschung und die wachsende Kommerzialisierung neuer Technologien in der Raumfahrt. Die Nutzung von Erdbeobachtungsdaten für implementierte Anwendungen und Verzahnung mit traditionellen Geschäftsfeldern – Space 4.0 – bieten große Chancen für deutsche Unternehmen.
Über die Hälfte der außereuropäischen Exporte deutscher Unternehmen beruhen einzig auf WTO-Regeln. Die EU sollte sich daher weiterhin gegen die Erosion der WTO stellen. Hierfür ist die rasche Neubesetzung des Berufungsgremiums der WTO-Streitbeilegung nötig. Bis dahin sollte die EU den Beitritt möglichst vieler Staaten zum plurilateralen Interimsabkommen "Multi-party interim appeal arbitration arrangement" (MPIA) forcieren, um auch kurzfristig eine möglichst effektive Beilegung von Handelsstreitigkeiten aufrecht erhalten zu können. Zu einer WTO-Modernisierung zählen viele Betriebe zeitgemäße, faire Subventionsregeln (zum Beispiel klarere Regeln zu Industriesubventionen und Subventionen für fossile Energieträger). Ebenfalls rasch sollte ein WTO-Abkommen zur Beseitigung von Hemmnissen für den Gesundheitsgüterhandel vereinbart werden, um zukünftige Gesundheitskrisen global zu bewältigen. Auch eine WTO-Mittelstandsagenda und Abkommen zu E-Commerce, Investitionserleichterungen und Umweltgütern sowie die Ausweitung der Abkommen zur Öffentlichen Beschaffung und Informationstechnologie können den Außenhandel deutscher Unternehmen erleichtern. Das WTO-Verbot von Zöllen auf internationale Datentransfers sollte aus Sicht des Großteils der Unternehmen über 2026 hinaus verlängert werden. Zusätzlich sollte die Weltzollorganisation das Harmonisierte System von Warennummern als Grundlage des internationalen Handels zügig modernisieren und deutlich vereinfachen.
Zur Diversifizierung und Absicherung der Lieferketten der deutschen Wirtschaft sollten aus Sicht vieler Unternehmen neue Handelsabkommen oder ähnliche Abkommen wie strategische Partnerschaften weltweit angestrebt werden. Die Abkommen mit Mercosur und Mexiko sollten baldmöglichst ratifiziert und mit Indonesien und Indien rasch zu Ende verhandelt werden. Auch weitere Abkommen mit Staaten in Südostasien, Lateinamerika, im arabischen Raum und Afrika sowie strategische Partnerschaften und Rohstoffabkommen bieten für viele Unternehmen bedeutende Geschäftschancen. Wichtig ist, dass die EU ihren Handelspartnern auf Augenhöhe begegnet. Anreize für die Handelspartner für eine Zustimmung zu Abkommen sind wichtiger als der Einsatz von Sanktionsklauseln.
Angesichts der gesteigerten Bedeutung des Indopazifiks für die Diversifizierung des deutschen Außenhandels ist ein handelspolitisches Engagement in dieser wirtschaftlich starken Region entscheidend. Anstatt Abkommen wie der Transpazifischen Partnerschaft (CPTPP) oder der Regionalen Umfassenden Partnerschaft (RCEP) beizutreten und damit Standards konkurrierender Wirtschaftsräume zu übernehmen, sollte die EU durch eigene Abkommen die Beziehungen zu den beteiligten Staaten vertiefen und die Bedeutung europäischer Standards vor Ort stärken.
Der Transatlantische Handels- und Technologierat TTC der EU mit den USA kann globale Zukunftsstandards setzen. Auch darüber hinaus sollten aus Sicht der Mehrheit der Wirtschaft transatlantische Handelshemmnisse wie Zölle oder verbleibende Handelsstreitigkeiten abgebaut werden. Ebenso sollte protektionistischen Maßnahmen und Lokalisierungsanforderungen, die europäische Unternehmen diskriminieren und eine Herausforderung für den Industriestandort Deutschland darstellen, entgegengewirkt werden. Auch sollte sich die EU gegenüber einem der wichtigsten Handelspartner von Deutschland – China – weiterhin für mehr Reziprozität in den Handelsbeziehungen einsetzen, um den chinesischen Markt zugänglicher für europäische Unternehmen zu gestalten. Angesichts weitreichender chinesischer Industriesubventionen muss sich die EU noch stärker für ein "Level Playing Field" einsetzen.
In einer zunehmend entkoppelten Weltwirtschaft werden die unmittelbaren Nachbarländer der Europäischen Union wichtiger. Die EU sollte sich daher für möglichst enge institutionelle Beziehungen mit ihrer Nachbarschaft einsetzen, um die Resilienz, Souveränität und Attraktivität des europäischen Binnenmarktes zu stärken. Es ist wichtig, gerade mit dem Vereinigten Königreich (UK) und der Schweiz wieder engere Beziehungen zu verankern und weitere regulatorische Divergenz zu verhindern. Der Brexit bleibt ein wirtschaftliches Fiasko für beide Seiten des Kanals und hat auch den Warenaustausch mit Deutschland erschwert. Die 2026 anstehende Überprüfung des EU-UK-Handelsabkommens sollte die Vertiefung der institutionellen Beziehungen in den Bereichen Außenpolitik und Dienstleistungen anstreben, um Handel, Dienstleistungsaustausch und Investitionen wieder zu erleichtern.
Auch in den 2024 gestarteten Verhandlungen mit der Schweiz gilt es, eine engere institutionelle Kooperation voranzutreiben. Die Schweiz sollte wieder den europäischen Programmen Horizon Europe und Erasmus+ beitreten sowie die Mitarbeiterentsendung erleichtern. Erforderlich ist auch eine neue institutionelle Einigung, in deren Zentrum verbindliche Streitbeilegung und eine dynamische Rechtsanpassung an EU-Regelungen stehen sollten. Grundsätzlich sollten so viele Staaten wie möglich eng an den europäischen Binnenmarkt herangeführt werden. Hierbei geht aus Sicht der deutschen Unternehmen Qualität vor Geschwindigkeit. Wichtig ist dabei eine enge Einbindung der Wirtschaft im Zuge der Beitrittsverhandlungen. Aus Unternehmenssicht ist das umfassende Erfüllen aller Beitrittskriterien – insbesondere des Rechtsstaatsprinzips – unerlässlich, um Rechtssicherheit bei Handel und Investitionen zu garantieren. Gleichzeitig sind Reformen innerhalb der EU mit Blick auf deren Politik, Institutionen und den Haushalt nötig, damit die EU auch nach einer Erweiterung um neue Mitgliedsstaaten wirtschaftlich stabil und handlungsfähig zu bleibt.
Handelsabkommen sollten grundsätzlich mittelstandsfreundlich – etwa mit KMU-Kapitel – und damit einfach für alle Unternehmen ausgestaltet sein (siehe DIHK-Ideenpapier für moderne Handelsabkommen (PDF, 203 KB)). Hierzu gehören einfache und in allen Abkommen gleichlautende Ursprungsregeln und Rahmenbedingungen wie die Erhöhung der Wertschwellen für die vereinfachte Nutzung von Ursprungsnachweisen. Eine Mehrheit der Unternehmen findet zudem, dass Abkommen mit tragfähigen Vereinbarungen zu Themen wie Visaerleichterungen ergänzt werden sollten. Viele Unternehmen sehen ansonsten sehr große bürokratische Hindernisse beim Nutzen der Zollvorteile. Damit Handelsabkommen erfolgreich sind, muss die Umsetzung in den jeweiligen Ländern und der EU gelingen. Klare Implementierungszeitpläne aller Seiten unter Einbindung von KMU-Vertretern wie dem Kammernetzwerk sind nötig. Ziel sollte eine Nutzungsrate der Freihandelsabkommen von mindestens 85 Prozent sein. Der EU-Ursprungsrechner (ROSA) sollte weiter ausgebaut werden, gerade um kleine und mittelständische Unternehmen bei der Berechnung des präferenziellen Ursprungs zu unterstützen.
Für die deutsche Wirtschaft ist es wichtiger denn je, dass europäische Ambitionen im Nachhaltigkeitsbereich nicht zum internationalen Wettbewerbsnachteil werden. Die EU-Handelspolitik sollte deshalb ihre Schlagkraft für bilaterale Abkommen erhöhen und Überfrachtungen mit handelsfernen Themen vermeiden. Der Fokus sollte darauf liegen, international vereinbarte Standards in Handelsabkommen zu verankern. Regelungen in den Bereichen Menschenrechte, Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz sollte die EU daher verstärkt international vorantreiben (WTO, OECD, G20, G7 et cetera). Insbesondere sollte eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Nachhaltigkeitsvorgaben sichergestellt werden.
EU-Vorgaben zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten sollten an einem bürokratiearmen, freiwilligen KMU-Standard orientiert umgesetzt werden (vergleiche Kapitel "Corporate Responsibility"). Eine frühzeitige Bereitstellung von Leitlinien sowie von zentralen Portalen und Tools zur Berichterstattung sind als Unterstützung bei der Umsetzung elementar. Aufgrund von Haftungsrisiken drohen Beeinträchtigungen bei der notwendigen Diversifizierung von Lieferketten und der Rückzug aus verschiedenen Ländern. Drittstaaten sollten bei der Erarbeitung von Due Diligence-Regelungen frühzeitig eingebunden werden, um Akzeptanz und Praxistauglichkeit zu sichern.
Bei der Umsetzung anderer Due-Diligence-Gesetze, wie der EU-Verordnung zum Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit oder der EU-Entwaldungsverordnung, sollte berücksichtigt werden, mit welchem Belastungskontext sich Unternehmen vor dem Hintergrund der Vielzahl an Sorgfaltspflichten und Dokumentationsanforderungen konfrontiert sehen. Deutschland und die EU sollten gerade mit Entwicklungs- und Schwellenländern konstruktiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten, um einen höheren Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu erreichen.
Zur wichtigen Frage der wirksamen Eindämmung des Klimawandels bedarf es globaler Lösungsansätze und eines koordinierten Handelns aller relevanten CO2-emittierenden Länder. Die Unternehmen sind in der Zwischenzeit gleichzeitig auf einen wirksamen und effizienten Schutz vor Carbon Leakage angewiesen. Der internationale Klimaclub, eine Handelsvereinbarung mit Mindeststandards zur Einhaltung von Klimazielen, sollte daher rasch mit wichtigen Handelspartnern in verbindlicher Form umgesetzt werden, um Handelskonflikte und Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Bei der Umsetzung von CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) muss insbesondere die Exportseite klar vor Standortnachteilen bewahrt werden und der Bürokratieaufwand etwa durch ein EU CBAM Self-Assessment Tool, Bagatellregelungen und Standardwerte reduziert werden.