Bürokratieabbau und Besseres Recht: Wirtschaft und Verwaltung von unnötiger Bürokratie befreien – Standort für die Zukunft gut aufstellen
Das Ausmaß an Bürokratie ist zu einem enormen Belastungsfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa geworden. Hiesige Unternehmen sind mit einer Vielzahl von Berichts-, Nachweis-, Statistik- und Dokumentationspflichten konfrontiert – und die Zahl der Anforderungen steigt stetig weiter. Nicht nur die Anzahl der Regelungen, auch der Detaillierungsgrad und die Anwendungsbereiche von europäischen Richtlinien und Verordnungen sowie nationalen Regelungen überschneiden sich häufig. In der Wahrnehmung der Unternehmen entfernt sich die Regulierung immer mehr von ihrem Ziel, ein einheitliches, kohärentes und praktikables System zu schaffen.
Im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft und zu den verfügbaren Ressourcen ist die Belastung durch Bürokratie für KMU tendenziell stärker als für größere Unternehmen. Gleichzeitig sind große Unternehmen von einer Vielzahl von Anforderungen und Berichtspflichten betroffen. In den Umfragen der IHK-Organisation steht die Bürokratiebelastung daher regelmäßig oben auf der Agenda, die die Unternehmen in der Breite an die Politik adressieren. Unternehmen wünschen sich einen spürbaren Abbau von unnötiger Bürokratie, wieder mehr unternehmerische Freiheit und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Komplexe Antrags- und Planungsverfahren erschweren beispielsweise Investitionstätigkeiten und hemmen den Weg hin zur Transformation (vergleiche Kapitel "Plan- und Genehmigungsverfahren").
Um Bürokratie spürbar abzubauen, braucht es einerseits wirksame Bürokratiebremsen. Andererseits sollten bestehende Regelungen beispielsweise anhand von Formaten wie den Praxis-Checks evaluiert werden. So könnten auch Verwaltungsbehörden, die die Regelungen umsetzen oder kontrollieren, entlastet werden. Vor diesem Hintergrund spielt auch die Digitalisierung in den Verwaltungen eine wichtige Rolle im Bürokratieabbau (vergleiche Kapitel "Digitalisierung und Digitaler Binnenmarkt").
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
Die Wirtschaft benötigt von der Politik einen Befreiungsschlag von der hohen Bürokratiebelastung und wieder mehr Vertrauen in die Unternehmen. Angesichts des Trends zu mehr und immer detaillierteren Regelungen können aktuelle Initiativen und Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene nur ein erster Schritt sein. Bürokratie bleibt ohne systematische Ansätze eine Dauerbelastung. Erste Vorhaben diese Systeme zu etablieren, haben noch nicht zu einem spürbaren Abbau der Bürokratie geführt. Auf nationaler Ebene sollten folglich noch stärkere systematische Ansätze zum Bürokratieabbau auf allen staatlichen Ebenen stärker genutzt werden. Auf europäischer Ebene sollte eine Bestandsaufnahme der bestehenden Gesetze und den daraus erfolgenden Berichtspflichten durchgeführt werden, um dann Dopplungen abzuschaffen und zu vermeiden. Darüber hinaus sollte sich die EU-Kommission zu messbaren Bürokratieabbauzielen verpflichten und Bürokratieabbauinitiativen mit einer konkreten Zeitschiene versehen, um Verbindlichkeit und Rechtssicherheit für die Unternehmen sicherzustellen (siehe nachfolgende Leitlinien).
Ein Abbau von unnötiger Bürokratie beinhaltet unter anderem den Abbau doppelter und unverhältnismäßiger beziehungsweise nicht sinnvoller oder nicht notwendiger Berichts- und Informationspflichten, die vollständige Automatisierung von (statistischen) Meldepflichten und schnelle, verbindliche sowie digitale Verwaltungs- beziehungsweise Antragsverfahren.
Aufgrund einer fast nicht mehr zu überschauenden Vielzahl von Informationspflichten, sind zum Beispiel für KMU Geschäftsabschlüsse insbesondere im grenzüberschreitenden Onlinehandel ohne eine aufwendige Rechtsberatung kaum noch rechtssicher möglich. Der Vereinfachungsbedarf könnte beispielsweise über einheitliche "Muster"-Formulierungen oder Checklisten der EU-Kommission gedeckt werden. Die unverbindlichen "Muster-Formulierungen" beziehungsweise "Muster-Formulare" sollten mit der Maßgabe verbunden werden, dass die Verwendung solcher Musterformulare den gesetzlichen Informations- und Belehrungsanforderungen genügt. Formulare sollten zudem leicht verständlich sein, damit beispielsweise die Anwendung des Rechts oder die Beantragung von Fördermitteln niedrigschwellig erfolgt (vergleiche Kapitel "Forschung und Innovation").
Grundsätzlich sollten Harmonisierungsbestrebungen in der Gesetzgebung einen funktionierenden Binnenmarkt unterstützen (vergleiche Kapitel "Binnenmarkt").
Eine gute Rechtsetzung mit klaren und verständlichen Regelungen trägt zur Minimierung von Bürokratiekosten bei. Das beginnt bereits im Konsultationsverfahren. Die Wirtschaftsakteure sollten daher in Gesetzgebungsprozessen so früh wie möglich über einen "ex-ante Praxis-Check" eingebunden werden. Dabei brauchen Unternehmen ausreichend Zeit, um Gesetze analysieren und in Stellungnahmen bewerten zu können. Zu kurz bemessene Konsultationszeiten erschweren eine Einbindung der Praxis erheblich. Konsultationen sollten nutzerfreundlicher gestaltet werden und auch die Umsetzbarkeit der Vorhaben durch die Verwaltung prüfen. Das betrifft vor allem eine zeitnahe Veröffentlichung der Gesetzesvorschläge auf EU-Ebene zumindest in den Arbeitssprachen der EU. Die Auswertung sollte ebenfalls transparent gestaltet werden. Neue Rechtsakte oder Gesetze sollten den Betroffenen zudem immer mit einer ausreichenden Zeit für notwendige Umstellungen beziehungsweise zur Vorbereitung der Umsetzung der Maßnahmen einräumen.
Checks bereits bestehender Regelungen ("ex-post Praxis-Checks") sind ein themenspezifisch angewandtes Instrument, um unnötige Bürokratielasten in bestimmten Bereichen zu identifizieren und abzubauen. Dieses Format ist in der Wachstumsinitiative der Bundesregierung aufgegriffen und sollte zeitnah von allen Bundesministerien umgesetzt und anschließend auf die EU-Ebene übertragen werden.
Seit 2023 werden in Deutschland Gesetze in ihrem Entwurfsstadium einer Überprüfung auf Digitaltauglichkeit unterzogen und vom Nationalen Normenkontrollrat geprüft (sogenannter "Digital-Check"). Dieses Konzept sollte das "Regulatory Scrutiny Board" auf die europäische Ebene übertragen.
Bereits im Vorbereitungsstadium von EU-Gesetzesvorschlägen sollten Möglichkeiten zur Entlastung der Wirtschaft und KMU gesucht und auf eine kohärentere Anwendung des KMU-Tests geachtet werden (vergleiche Kapitel "Mittelstand stärken"). Im weiteren Gesetzgebungsprozess sollten bei substanziellen Änderungen durch Rat und Parlament die bisher nur diskutierten "Dynamic Impact Assessments" endlich etabliert werden.
Der Anpassungs- und Umstellungsaufwand von bestehenden auf neue Rechtsakte sollte für die Unternehmen minimal gehalten werden. Im Ergebnis sollten Neuregelungen weniger Bürokratie und geringere Kosten für die Unternehmen bedeuten. Folgenabschätzungen sollten vor Erlass eines EU-Rechtsakts alle Handlungsoptionen darstellen. Andernfalls sollte der Vorschlag der EU-Kommission für ein Gesetzgebungsvorhaben nicht an das EU-Parlament weitergeleitet werden dürfen.
Sollten im Gesetzgebungsverfahren zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft entstehen, sollten diese im jährlichen Aufwandsbericht der EU-Kommission (sogenannte "Annual Burden Survey") stehen. Zusatzbelastungen sollten spätestens am Ende des Folgejahres über ein anderes Gesetzgebungsvorhaben ausgeglichen werden.
Für eine realistische Abschätzung der Bürokratiekosten sollte nicht nur die absolute Höhe der Bürokratiekosten, sondern auch ein Bürokratiekostenindex erstellt, veröffentlicht und stets aktualisiert werden. Sowohl der deutsche als auch europäische Index sollten aber nicht nur die Kosten für das Stellen von Anträgen, Durchführen von Kennzeichnungen oder Meldungen zu Statistiken beinhalten, sondern auch Anpassungen von internen Prozessabläufen und Beschaffungen von Waren- und Sachleistungen wie zusätzliche Personalkosten oder Umstellungen der IT-Infrastruktur. Auf EU-Ebene sollte zudem die in den Mitgliedstaaten entstehenden Erfüllungsaufwände angegeben werden.
Sowohl Deutschland als auch die EU-Kommission haben eine sogenannte "one-in-one-out"-Regelung als Bürokratiebremse eingeführt. Die Wirkung der Bremsen ist bisher allerdings begrenzt. Beide Regelungen sollten wirksamer ausgestaltet und künftig konsequent eingehalten werden.
Von der deutschen "One in, one out"-Regel sind umzusetzende EU-Regelungen und Einmalaufwände bislang ausgenommen. Von diesen Ausnahmen sollte abgesehen werden. Die Bundesregierung sollte die Regel ausnahmslos auf alle umzusetzenden europäischen Rechtsakte anwenden.
Auch die EU-Kommission sollte zukünftig bei allen Rechtsakten, die bürokratische Belastungen zur Folge haben, die "One in, one out"-Regel anwenden. Die Berechnungen von Be- und Entlastungen sollten anhand eines Scoreboards ausgewiesen werden. Maßnahmen, die mit einer Belastung von Null in die "Annual Burden Survey" aufgenommen werden, sollten nachvollziehbar begründet werden und lediglich eine Ausnahme sein.
Sowohl die deutsche als auch die europäische "One in, one out"-Regelung sollten in eine "one-in-two-out"-Regel weiterentwickelt werden. Anderenfalls bliebe es bei der gegenwärtig hohen Belastung, da bei der Anwendung der "One in, one out"-Regel lediglich einzelne Belastungen durch andere ersetzt würden. Wirklicher Bürokratieabbau setzt voraus, dass mehr alte Regeln abgebaut werden als neue hinzukommen.
Gute Gesetze sollten unternehmerische Tätigkeit ermöglichen und sie nicht verhindern. Gesetze sollten verständlich formuliert werden, in der Praxis ohne unnötig hohe Kosten fristgerecht umgesetzt und leicht befolgt werden können. Sie sollten zudem den Rechtsrahmen klarer und verlässlicher machen. Häufige und kleinteilige Änderung von Gesetzen sollte vermieden werden. Dies gilt für alle staatlichen Ebenen. Sowohl in Deutschland als auch in Europa sollten sich Ministerien beziehungsweise Generaldirektionen bei ihren Initiativen im Vorhinein abstimmen, um Überschneidungen zu vermeiden. Eine verlässliche Gesetzgebung ist insbesondere für langfristige Investitionsentscheidungen von hoher Bedeutung. Wenn das Vertrauen der Unternehmen in den Gesetzgeber aufgrund ständig neuer Weichenstellungen verloren geht, dann wirkt sich das negativ auf Investitionen aus.
Gesetzgeber sollten Gesetze beispielsweise über Reallabore ("Sandboxes") auf Aktualität und Relevanz prüfen. Das kann unter anderem die Aktualität von Schwellenwerten umfassen. Unnötige bürokratische Belastungen könnten so vermieden werden. Mit Auslaufklauseln (sogenannte "Sunset Clauses") könnte sichergestellt werden, dass Regelungen regelmäßig überprüft werden.
Werden im Vollzug einer Norm von den Betroffenen Defizite ausgemacht, sollte vor dem Beschluss zusätzlicher Regelungen die verbesserte Anwendung bestehender Gesetze stehen. Insbesondere sollten konsequentere, einheitliche und praxisnahe Verfahren angewendet werden. Unübersichtlichkeit durch unterschiedliches Landesrecht und uneinheitliche Umsetzung in den Kommunen sollte vermieden werden. Davon würden vor allem bundesweit tätige Unternehmen profitieren.
Außerdem ist eine zeitnahe Anpassung von Gesetzen an die Rechtsprechung wichtig, um Rechtsunsicherheiten für Unternehmen zu vermeiden. Dies gilt besonders dann, wenn Regelungen durch Gerichte als rechtswidrig erklärt werden.
Die Mitgliedstaaten sind zu einer effektiven und transparenten Umsetzung des EU-Rechts verpflichtet. Die Umsetzung sollte von der Kommission als Hüterin der Verträge kontrolliert werden, auch im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens (vergleiche Kapitel "Binnenmarkt"). Die Kommission sollte diese Verfahren im Sinne eines fairen Wettbewerbs allein rechtlich bewerten. Eine konsequente und einheitliche Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten stärkt den Binnenmarkt, sie sorgt für fairere Wettbewerbsbedingungen und mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen.
EU-Vorschriften sollte der deutsche Gesetzgeber eins zu eins, das heißt, ohne Zusätze oder Verschärfungen (auch bekannt als "Gold-plating") umsetzen, um Wettbewerbsnachteile für die hiesigen Unternehmen zu verhindern. Damit dies gewährleistet wird, sollte der Aufgabenbereich des Nationalen Normenkontrollrats um einen "Gold-plating"-Check ergänzt werden. Über diesen Check sollten die Bundesministerien festhalten, wenn und wieso sie bei der Umsetzung von EU-Recht über die Anforderungen hinausgehen.