Unternehmensfinanzierung: Neue Möglichkeiten erschließen, bewährte Wege bewahren
Mit dem Ende der Niedrigzinsphase sind die Kosten der Unternehmensfinanzierung deutlich gestiegen. Gleichzeitig erhöht sich die Notwendigkeit für Unternehmen in Innovationen, Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu investieren. Vor diesem Hintergrund sollten die Strukturen und Regulierungen im Finanzsystem so ausgerichtet werden, dass die für die Investitionen notwendige Finanzierung zu angemessenen Bedingungen zur Verfügung steht.
Die Kapitalmarktunion in Europa kann dafür neue Möglichkeiten erschließen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für die wichtigste Finanzierungsquelle deutscher Unternehmen, die Bankkredite, regulatorisch kontinuierlich verschlechtert. Es gilt deshalb, einen Ausgleich zwischen stärkerer Kapitalmarktorientierung und bewahrenden Rahmenbedingungen für Bankkredite sowie zwischen Stabilität des Finanzierungsrahmens und besseren Finanzierungskonditionen für Investitionen zu finden.
Die Stärke des hiesigen Standorts liegt in der Vielfalt der Unternehmen – von großen Konzernen über typische KMU bis hin zu Kleinstunternehmen. All diese Unternehmen sind auch in Bezug auf die Finanzierungsbedingungen auf ein investitionsfreundliches Umfeld angewiesen. Dazu sollten auch neue technische Möglichkeiten erschlossen und administrative Hürden gesenkt werden.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
Die Regulierung seit der Finanzkrise 2008 hat die Finanzstabilität in Europa deutlich erhöht. Diese Stabilität ist eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig wird die Finanzierung durch die Basel-Ill-Finalisierung, "Basel IV" und weitere Vorhaben erschwert. Das wird vor allem die Mittelstandsfinanzierung und Finanzierung der kleineren Unternehmen einschränken, denn die Kreditvergabe wird für die Kreditinstitute teurer, wodurch sich die Zinslast auch für die Kunden der gewerblichen Wirtschaft erhöht. Bestimmte Geschäfte wie die Start-up-Finanzierung werden unter diesen Bedingungen immer schwieriger. Und so wandern einige Finanzierungen zu weniger überwachten Schattenbanken ab.
Diese Entwicklung sollte aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft geändert werden. Die Auswirkungen der regulatorischen Anforderungen auf die Unternehmensfinanzierung sollten laufend evaluiert und in Phasen des Konjunkturabschwungs antizyklisch sowie bei Bedarf mit Blick auf die notwendigen Investitionen und Finanzierungsspielräume der Unternehmen angepasst werden. Um die Finanzierungsbedingungen für KMU zu verbessern, sollten die Bürgschaftsbanken als subsidiäre Selbsthilfeorganisationen der Wirtschaft weiterentwickelt und gestärkt werden. Auch Förderbanken spielen eine wichtige Rolle in der Unternehmensfinanzierung, wenn sie die Planungssicherheit für Unternehmen erhöhen und den bürokratischen Aufwand für die Unternehmen eng begrenzen.
Das Ausmaß der Finanzmarktregulierung sollte der Komplexität und dem Risikogehalt der betriebenen Geschäfte stärker Rechnung tragen (sogenanntes "Proportionalitätsprinzip"). Regionale Kreditinstitute benötigen nicht die gleiche, komplexe Regulierung wie international agierende Häuser. Eine komplexe Regulierung gefährdet die langfristige Investitions-, ebenso wie die laufende Betriebsmittelfinanzierung insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Deshalb sollte bei der aufsichtsrechtlichen Praxis der Finanzmarktregulierung die Größe und die Ausrichtung von Instituten stärker berücksichtigt werden. Gleiches gilt für Vorgaben für die realwirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere im Bereich der Offenlegung von finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen. Auch hier sollte die Größe und Wesentlichkeit der Unternehmen stärker berücksichtigt werden und eine strenge Fokussierung auf risikorelevante Sachverhalte vorgenommen werden.
Eine europaweite "Spar- und Investitionsunion", die Banken- und Kapitalmarktfinanzierung leichter zugänglich macht, kann den Unternehmen in Deutschland helfen. Eine Kapitalmarktunion könnte insbesondere die Finanzierung von Gründungen, Unternehmensnachfolgen und Restrukturierungen stärken. Darüber hinaus kann der Kapitalmarkt – im Vergleich zur Kreditfinanzierung – höhere Volumina zur Finanzierung der digitalen Transformation und Dekarbonisierung stemmen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bietet der Kapitalmarkt nicht nur die Möglichkeit zur Diversifizierung und damit zur Risikostreuung, sondern ermöglicht auch privaten Anlegern, an den Wertentwicklungen zu partizipieren. Aber nicht nur für etablierte Unternehmen, sondern auch für junge Unternehmen kann der Kapitalmarkt im Rahmen der Wagnisfinanzierung eine wichtigere Rolle in Deutschland spielen. Die Herausforderungen liegen vor allem in der Schaffung möglichst einfacher, einheitlicher und standardisierter Regeln. Diese Regeln sollten die Attraktivität für Investoren erhöhen, aber auch für die Unternehmen kosteneffizient umsetzbar sein.
Zudem sollte die Subsidiarität beachtet werden: Nur dort vereinheitlichen, wo dadurch auch die Situation verbessert werden kann. So sollte die Aufsicht nur für jene Akteure vereinheitlicht werden, die auch europaweit geschäftlich aktiv sind und EU-weit einheitlichen Regeln unterliegen. Eine darüberhinausgehende Zentralisierung der Kapitalmarktaufsicht in Form einer Europäischen Superbehörde für den Kapitalmarkt (Weiterentwicklung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA mit Sitz in Paris) ist nicht sinnvoll. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ließe sich so nicht stärken, weil die relevanten steuerrechtlichen Regelungen auf nationaler Ebene bleiben, die Europäischen Richtlinien national umgesetzt und die Marktstrukturen weiterhin von lokalen Besonderheiten geprägt sein werden. Eine europäische Einlagensicherung darf nicht zu Fehlanreizen führen. Dafür sind einheitliche, etablierte und überwachte Standards in der Bankenaufsicht eine Voraussetzung. Zentralisierungen, zum Beispiel in der Marktinfrastruktur, sollten nicht zu einer Verdrängung von privaten Lösungen führen. Freiwillige Wahlmöglichkeiten bei europäischen Standards, zum Beispiel in der Rechnungslegung, können Unternehmen zusätzliche Optionen schaffen.
Trotz der Förderung der kapitalmarktbasierten Unternehmensfinanzierung darf die überwiegend bankbasierte Finanzierung der KMU nicht geschwächt werden. Angesichts unterschiedlicher Interessen der Marktakteure sollten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Nutzung des Kapitalmarkts auch unterschiedliche Lösungen gefunden werden, die auch mittelbare Auswirkungen auf nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen beschränken. So sollte zum Beispiel eine sinnvolle Ausweitung der Verbriefungen, die einen positiven Beitrag zur Unternehmensfinanzierung durch Banken und Leasinggesellschaften leisten, nicht dazu führen, dass hierzulande Offenlegungspflichten von KMU in der Kreditbeziehung erhöht werden.
Durch die Zunahme der Regulierung sind auch die administrativen Anforderungen gestiegen. Das betrifft nicht nur die immer komplexer werdende Bankenregulierung im engeren Sinne, sondern auch die Bürokratisierung der Beratung. Dazu kommen Kosten für steuerliche oder sanktionsbedingte Prüfungen. Auch durch die gesamte Sustainable-Finance-Regulierung hat sich der Aufwand für alle Seiten beträchtlich erhöht (vergleiche Kapitel "Sustainable Finance").
Manche Pläne im Rahmen der Kapitalmarktunion, die eine europaweite Vereinheitlichung und Offenlegung der Daten für potenzielle Investoren vorsehen, könnten mit Umstellungskosten, aber auch laufenden Kosten zu weiteren Belastungen führen. Diese Hürden in der Finanzierung gilt es abzubauen und zu vermeiden, indem die administrativen Anforderungen zielgenauer auf die betroffenen Unternehmen beschränkt und technologische Vereinfachungen angestrebt werden. Die EU-Kommission geht hier zum Beispiel mit dem "Small Banking Box"-Ansatz in die richtige Richtung.
Überprüft werden sollte hingegen die Anwendung des Instruments des Delegierten Rechtsaktes, mit denen Aufsichtsinstitutionen eine immer größere Bedeutung zukommt. Es sollte Aufgabe der EU-Kommission und des EU-Parlaments bleiben, bei grundlegenden Gesetzesvorhaben in demokratischen Prozessen transparent auch die Details genauer zu regeln, damit Unternehmen mehr Klarheit bei der vorgesehenen Finanzierung von Investitionen erhalten.
Die neuen und vielseitigen Möglichkeiten digitaler Finanzdienstleistungen können für Unternehmen neue Chancen eröffnen. Gerade die sogenannte "Distributed Ledger Technologie" – auch als "Blockchain" bekannt – und andere innovative Technologien bieten viele Möglichkeiten, die sich aber bisher nur schwer etablieren konnten. Die Europäische Zentralbank sollte in Kooperation mit der Privatwirtschaft die Einführung eines digitalen Euro dazu nutzen, um mit dieser Technologie Innovationen und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Daher sollte zunächst nicht die Retail-Version (Einzelhandels-Version) eingeführt werden, die potenziell die Intermediationsfähigkeit der Geschäftsbanken einschränken könnte. Eingeführt werden sollte vielmehr zunächst eine auf die technischen Chancen ausgerichtete Wholesale-Version (Großhandels-Version) und B2B-Version, die auch im internationalen Wettbewerb Europas Position stärken würde.