Mittelstand stärken: Unternehmertum nachhaltig unterstützen
Der Mittelstand ist eine starke Säule der deutschen und europäischen Wirtschaft. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellen in Deutschland und der EU mehr als 99 Prozent aller Unternehmen und deutlich mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in der Privatwirtschaft.
Die Wirtschaft in der Breite braucht wachstums- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen. Zwar ist eine zunehmende Zahl von mittelständischen Unternehmen grenzüberschreitend aktiv. Oftmals können diese Unternehmen aber hiesige Standortnachteile nicht oder nur mit höheren relativen Kosten durch einen Auf- oder Ausbau von Standorten im Ausland kompensieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Belastungen etwa durch Bürokratie treffen den Mittelstand besonders. Angesichts der aktuellen großen Herausforderungen wie einer hohen Bürokratiebelastung, deutlich gestiegener Energiekosten, des starken Fachkräftemangels, der geopolitischen Spannungen und des energie- und klimapolitischen Transformationsprozesses benötigen die Unternehmen mehr unternehmerische Freiheiten und einen größeren Spielraum mit einem breiten technologieoffenen wirtschaftspolitischen Ansatz.
Die Unternehmensbefragungen der IHK-Organisation zeigen, dass Unternehmen mehr Wert auf klare und marktorientierte Rahmenbedingungen legen als auf selektive und oft auch bürokratische (Förder-)Maßnahmen (vergleiche Kapitel "Forschung und Innovation"). Das gilt auch für die Sicherung der immer schwieriger werdenden Suche nach einer geeigneten Unternehmensnachfolge.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
Der Mittelstand braucht in erster Linie wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, die den kleinen und mittelgroßen Unternehmen ermöglichen, in hart umkämpften Märkten erfolgreich zu sein. Kern des Unternehmertums ist dabei: in die Zukunft investieren und dabei Risiken nicht scheuen. Dies prägt vor allem die eigentümer- und familiengeführten Unternehmen.
Wenn es um konkrete Forderungen an die Politik geht, steht der Abbau unnötiger Bürokratiebelastung regelmäßig ganz oben auf der Agenda. Das gilt insbesondere auch für Pflichten, die aus dem jüngst in Brüssel verabschiedeten EU-Lieferkettengesetz und der nationalen Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung folgen (vergleiche Kapitel "Bürokratieabbau und Besseres Recht", "Sustainable Finance" und "Binnenmarkt"). Die im internationalen Vergleich hohe Steuerbelastung der Unternehmen ist ein weiterer wesentlicher Hemmfaktor für den Mittelstand. Positive Anreize könnte die Politik hier setzen, wenn die steuerliche Begünstigung bei den im Betrieb einbehaltenen und reinvestierten Gewinne verbessert würde und so die steuerliche Behandlung von Eigenkapital bei Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften angeglichen würde (vergleiche Kapitel "Steuerpolitik").
Das Verständnis für unternehmerisches Handeln sollte durch einen intensiveren und stetigen Dialog zwischen Unternehmen, Medien, Regierungen, Parlamenten, Finanzierungspartnern, Verwaltungen und weiteren gesellschaftlichen Akteuren verbessert werden. Das stärkt Gründungen, innovative Start-ups sowie mittelständische Unternehmen und erhöht die Wertschätzung für das Unternehmertum. Vor allem im Kontext der Digitalisierung ist ein besseres Verständnis für sich wandelnde Geschäftsmodelle und veränderte Finanzierungserfordernisse und -möglichkeiten bei allen gründungsrelevanten Akteuren erforderlich. Programme zur Hospitation von Politikern bei Unternehmen könnten nach Ansicht der meisten IHKs hierzu beitragen. So erfahren politische Entscheidungsträger auch besser die Auswirkungen politischen Handelns auf den unternehmerischen Alltag.
Mit "Wirtschaft" und "Unternehmertum" kommen aus Sicht der Wirtschaft noch zu wenige Personen auf ihrem Bildungsweg in Kontakt. Diese Themen sollten mit Blick auf die Ausbildungsstartkompetenz bundesweit in der Bildung mehr Beachtung finden. So sollten Voraussetzungen geschaffen werden, um ein wirtschaftliches Grundverständnis und unternehmerisches Denken und Handeln zu vermitteln. Betriebe plädieren für mehr Angebote im schulischen Kontext zur Förderung von Unternehmertum, zum Beispiel durch Schülerfirmen und Gründungswettbewerbe.
Ein frühzeitiges Verständnis für wirtschaftliche Themen und unternehmerische Bildung ist mit Blick auf die Fachkräftesicherung ein wichtiger Baustein, auch im Bereich Unternehmertum, Gründung und Unternehmensnachfolge. Denn Know-how und Interesse am Unternehmertum erhöhen Gründungschancen. Die Wissensvermittlung und Motivation zur Unternehmensgründung und -nachfolge sollten intensiviert und vorhandene Initiativen vernetzt werden. Die stärkere Vermittlung von wirtschaftlichen Zusammenhängen dürfte zu einem realistischeren Unternehmerbild beitragen und damit das Klima für Unternehmertum insgesamt verbessern (vergleiche Kapitel "Fachkräftesicherung: Berufliche Bildung stärken – Fachkräftepotenziale heben"). Hochschulen sollten viel häufiger Ausgründungen begleiten – auch mit Partnern aus der Wirtschaft. IHKs könnten hierbei als Mittler auftreten.
Die Zahl von "Altinhabenden" auf Nachfolgesuche, die sich von ihrer IHK unterstützen lassen, bewegt sich auf Rekordniveau. Die Zahl der Unternehmensangebote übersteigt die Zahl der Nachfragen im IHK-Bereich um ein Mehrfaches. Einer zunehmenden Zahl von Nachfolgesuchenden bleibt nichts anderes übrig als ihr Unternehmen zu schließen, mit dann spürbar negativen Effekten auch für Beschäftigung und Ausbildung in den Regionen. Die Politik sollte deshalb das Interesse an Unternehmensnachfolgen stärken und die Rahmenbedingungen für Unternehmen attraktiver gestalten. Vorbilder erfolgreicher Unternehmerinnen und Unternehmer können insbesondere auch Frauen ermutigen. Insbesondere sollte die Erbschafts- und Schenkungsteuer eine belastungsfreie Übertragung des Betriebsvermögens auf die nächste Generation sicherstellen (vergleiche Kapitel "Steuerpolitik").
Die Europäische Union braucht eine dezidierte KMU-Politik, die von allen Teilen der Kommission beachtet, umgesetzt und verbessert wird.
Dazu zählt eine konsequente Beachtung des "Think Small First"-Prinzips beim Entwerfen von EU-Gesetzen. Auch sollte der "KMU-Test" in sämtlichen Folgenabschätzungen der Europäischen Kommission verbindlich angewendet werden, um unnötige Belastungen durch EU-Regularien für Unternehmen bereits im Gesetzgebungsprozess zu identifizieren und zu vermeiden. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass Bürokratielasten bei KMU überproportionale Kosten verursachen, da sie nur über geringere Verwaltungsressourcen verfügen als größere Unternehmen, oft erledigen die Inhaber die entstehenden Aufwände selbst.
Entscheidend ist auch eine frühzeitige Einbindung von KMU-Vertretern in den Gesetzgebungsprozess, in Experten- und Beratergremien der EU-Institutionen, um die Erfahrungen und Belange von KMU bei der Politikgestaltung angemessen zu berücksichtigen. Gleichzeitig sind konkrete Maßnahmen zum Abbau aktuell bestehender Belastungen notwendig, die im Unternehmensalltag schnell spürbar werden. Ein Beispiel ist hier die Evaluierung regulatorischer Vorgaben und der Abbau unverhältnismäßiger Berichtspflichten (vergleiche Kapitel "Bürokratieabbau und Besseres Recht").
Eine wichtige Funktion zur wirksamen Artikulation der Perspektive der KMU könnte die Position des KMU-Beauftragten der EU-Kommission übernehmen. Diese Position sollte so in der "Governance-Struktur" der Kommission eingebunden werden, dass Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Mittelstands über die verschiedenen Generaldirektionen der EU-Kommission hinweg durchgesetzt werden können.
Wachsen KMU in die Größenkategorie "ab 250 Mitarbeitende" herein, haben sie eine gute Chance, in größeren Schritten weitere Wachstumspotenziale zu realisieren. Die EU-Kommission sollte die aus dem Jahr 2003 stammenden Schwellenwerte, bis zu denen ein Unternehmen als "KMU" gilt – Jahresumsatz bis 50 Millionen Euro und Jahresbilanzsumme bis 43 Millionen Euro – deutlich anheben. Die Grenze für die Mitarbeitendenzahl sollte die Kommission nach Einschätzung der Mehrheit der Unternehmen auf mindestens 500 anheben.
Zumindest sollte für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten eine "Mid Cap"-Kategorie geschaffen werden, um einen vereinfachten Zugang zu Innovations-Programmen der Europäischen Union zu ermöglichen. Die EU-Kommission sollte ihre Programme zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation mittelstandsfreundlich weiterentwickeln (vergleiche Kapitel "Forschung und Innovation"). Verbundene Unternehmen sollten nur dann in die Berechnung des KMU-Status einbezogen werden, wenn sie tatsächlich auch von der konkreten Sonderregelung profitieren.
Die Schwellenwerte für die Unternehmensgrößen sollten auch in der EU-Rechnungslegungsrichtlinie 2013/34/EU angepasst werden. Die finanziellen Schwellenwerte wurden bereits unter Berücksichtigung der Inflationsraten angehoben. Bei den monetären wie nicht-monetären Schwellenwerten der EU-Rechnungslegungsrichtlinie sollten die bisher als "groß" definierten Unternehmen aus deutscher Perspektive aber als mittelständische Unternehmen eingestuft werden. Der Schwellenwert "Anzahl der Mitarbeitenden" zur Kennzeichnung großer Unternehmen sollte nach Einschätzung der Mehrheit der Unternehmen auf mindestens 500 angehoben werden. Denn auch hier gilt: Gerade in der Kategorie ab 250 Mitarbeitenden können KMU Wachstumspotenziale realisieren.