Verehrte Damen und Herren,
fast auf den Tag genau vor zwei Jahren standen wir an den Wahlurnen, um eine neue Bundesregierung zu wählen. Aus den Wahlen ging die Ampelkoalition hervor. Unter der Überschrift "Mehr Fortschritt wagen” hat sie sich ambitionierte Ziele gesetzt. Jetzt ist Halbzeit!
Zugegeben, Basis für den Koalitionsvertrag war noch die "alte Normalität". Mit Kriegsbeginn in der Ukraine war die Koalition lange zu intensivem Krisenmanagement gezwungen. Dabei hat sie vieles gut gemacht.
Die Krise hat große Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft gebracht. Sie hat aber auch längst vorhandene, tiefgreifende Strukturprobleme nochmal verstärkt:
Hohe Energiepreise, der Arbeits- und Fachkräftemangel, hohe bürokratische Belastungen oder die marode Infrastruktur.
Die Liste der Themen für die zweite Halbzeit ist lang. Und: Die Lage ist ernst.
Aktuelle Wirtschaftslage
Der Wirtschaft geht es schlecht. Viele Unternehmen müssen ziemlich kämpfen. Der Standort Deutschland verliert auch im internationalen Wettbewerb.
Deutschland ist Schlusslicht in Europa. Die Globalisierung der Wirtschaft wird immer mehr infrage gestellt. Krisenmanagement reicht nicht mehr aus. Wir brauchen jetzt eine klare Agenda für die Wirtschaft, die für eine Verbesserung der Standortbedingungen sorgt.
Energiewende, Zuwanderung von Arbeitskräften, Digitalisierung, weniger Bürokratie. Oder die Erneuerung der gesamten Infrastruktur und der Aufbau von Wasserstoff- und CO2-Netzen. Die Zukunftsaufgaben – insbesondere die Transformation – werden nur mit einer florierenden Wirtschaft funktionieren!
Das ist ein Appell an die Politik in Berlin und Brüssel!
Es ist aber auch ein Auftrag an uns als Kammern: Lieferant von verlässlichen Daten und Fakten zu sein. Objektiv zu berichten und konkrete Lösungen vorzuschlagen. Jetzt geht's um die Sache!
1. Normenflut reduzieren
Schritt eins: Wir müssen Unternehmen entlasten!
Angekündigt wurde im Herbst letzten Jahres ein Belastungsmoratorium. Eingehalten wurde das nicht! Stattdessen regelt die Politik immer mehr den Einzelfall und greift immer konkreter in unseren Unternehmensalltag ein.
Ich gebe Ihnen drei Beispiele:
Gebäudeenergiegesetz:
Der erste Entwurf sah Regelungen bis in den einzelnen Heizungskeller vor, wer wie wo wann und wie lange mit welchem Brennstoff heizen darf! Gleichzeitig sind große Lösungen wie die kommunale Wärmeplanung dabei zunächst aus dem Blick geraten.
Energieeffizienzgesetz:
Mit dem Energieeffizienzgesetz werden jetzt verbindliche Einsparvorgaben für Deutschland gesetzt. Das passt weder zu Wirtschaftswachstum noch zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Schließlich gibt es bei der Herstellung von Wasserstoff Umwandlungsverluste.
Mit dem Energieeffizienzgesetz schreibt die Politik zudem den Betrieben vor, wann eine Maßnahme wirtschaftlich ist. Zwar ist es uns gelungen, Umsetzungsverpflichtungen rauszubekommen. Aber das Thema kommt wieder. Schließlich sind die nun gesetzlichen Einsparverpflichtungen für Deutschland nur erreichbar, wenn die Politik die Unternehmen noch weiter an die Kandare nimmt. Das geht am Ende nur mit Produktionsverzicht.
Bundeskanzler Scholz redet stattdessen weiter vom "grünen Wirtschaftswunder", das vor der Tür stehen würde. Wachstumsraten wie in den 50er- und 60er-Jahren. Für uns Unternehmer klingt das nach Pfeifen im Walde!
Angesichts der Energiepolitik müssen wir uns vielmehr fragen: Wie können wir auf Dauer eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung sicherstellen?
Das Lieferkettengesetz sowie Taxonomie und Nachhaltigkeitsberichterstattung:
Da kommen immer weitere Vorgaben, die zunehmend auch von den KMUs abgefordert werden. Da heißt es zwar oft "KMUs freiwillig", aber das geht an der Realität vorbei. Wenn Mittelständler in der Liefer- oder Wertschöpfungskette mit umfangreichen Fragebögen aufgefordert werden, über Nachhaltigkeit zu berichten, müssen sie dem nachkommen, sonst sind sie schnell raus aus dem Markt!
Die Belastungen sind erheblich! Das gilt insbesondere für die EU-Kommission, deren "One in, One out"-Prinzip eine Vision bleibt: Eigentlich sollte für ein neues Gesetz ein bestehendes abgeschafft werden.
In Wirklichkeit verschlechtert sich das Verhältnis von zurückgenommenen und hinzugekommenen Rechtsakten immer mehr. Diese Normenflut überfordert große und kleine Unternehmen und vor allem auch die staatlichen Stellen, die gar nicht mehr mit der Kontrolle hinterherkommen.
Es ist daher ein gutes Signal, dass sich der Europa-Ausschuss des Deutschen Bundestags heute mit dem Thema Bürokratieabbau und KMU-Belastung auf EU-Ebene befasst und die DIHK eingeladen hat. Herr Dr. Nothnagel ist jetzt gerade dort und bringt unsere Stimme in die Debatte ein.
2. Wachstums- und Innovationsimpulse setzen
Schritt 2: Wir brauchen dringend umfassende Wachstums- und Innovationsimpulse!
Das Wachstumschancengesetz kann nur ein erster Impuls sein. Sicher muss hier im Detail noch nachgelegt werden: Zum Beispiel ist die Verrechnung von Verlusten zwar noch einmal verbessert worden – das erkennen wir auch an –, aber noch immer können die angefallenen Verluste nicht vollständig mit in anderen Zeiten erwirtschafteten Gewinnen verrechnet werden! Dass es hier noch immer keine klare, leicht verständliche Regelung gibt, ist nicht nachvollziehbar!
Grundsätzlich ist das Ziel des Gesetzes richtig und wichtig: die Breite der Wirtschaft zu entlasten, um Investitionen zu erleichtern. Allerdings zeigt die ablehnende Haltung der Länder, wo das Problem liegt: Die angekündigte Entlastung der Wirtschaft um sieben Milliarden Euro – und das ist nun wirklich nicht der große Wurf! – führt schon zum Streit zwischen Ländern und Bund darum, wessen Haushalte wie belastet werden könnten.
Solche Streitereien verkennen den Ernst der Lage! Wir als IHK-Organisation müssen allen Beteiligten klar machen, dass wir angesichts der vielen Herausforderungen dringend sogar eine noch viel breiter angelegte Reformagenda brauchen.
Dazu gehören weniger Belastung mit unnötiger Bürokratie, mehr unternehmerische Handlungsfreiheit, eine Steuerbelastung, die vergleichbar mit der in anderen Industrieländern ist und nicht zuletzt bezahlbarer Strom für alle Unternehmen!
Konkret: Als DIHK werben wir für die StromPartnerschaften, die Investitionen in erneuerbare Energien voranbringen und bezahlbare Strompreise ermöglichen. Das sollte aus unserer Sicht noch dringend ins Wachstumschancengesetz aufgenommen werden!
Die jetzt mit dem Gesetz angekündigten Prämien für Investitionen in Energieeffizienz sollten ergänzt werden, um die von uns vorgeschlagenen Prämien für den Ausbau der Produktion von erneuerbarer Energie! Das schafft nicht nur günstigen Strom für einige, sondern steigert das Stromangebot für alle!
Zusätzlich brauchen wir eine Senkung der Stromsteuer und Netzentgelte, um allen Betrieben zu helfen. Und für die besonders energieintensive Industrie ist die Ausweitung der sogenannten Strompreiskompensation ein guter Weg.
Und ganz wichtig: Erst sicher in neue Technologien einsteigen, bevor wir aus bewährten aussteigen!
Eine weitere Riesenbaustelle: 400.000 Fachkräfte pro Jahr, die wir auch aus dem Ausland für uns gewinnen müssen: Ja, das vor Kurzem verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Konsulate und Botschaften werden aber solange der Flaschenhals sein, solange das Antragsverfahren nicht schlanker und vor allem digitaler abgewickelt wird.
Wir bleiben hartnäckig mit unserem Vorschlag, dass AHKs die Vorprüfung von Unterlagen übernehmen und somit zur Verkürzung der Verfahren beitragen. Bei den Geschäftsvisa sind wir schon einen Schritt weiter: Hierzu wird die DIHK in den nächsten Tagen eine Vereinbarung mit dem Auswärtigen Amt unterschreiben, wonach die AHKs bei Geschäftsreisevisa für AHK-Mitglieder bevorzugte Behandlung bekommen. Außerdem wird dies für Azubi-Anwerbeprojekte gelten, die die DIHK gemeinsam mit einigen IHKs derzeit in Marokko und Usbekistan durchführt.
Auch die Mobilitäts- und Digitalinfrastruktur muss schneller ausgebaut und modernisiert werden. Dazu brauchen wir dringend einfachere Verwaltungsverfahren und viel schnellere Genehmigungen.
Nur mit einer solchen umfassenden Agenda kann ein neues Deutschland-Tempo endlich Realität werden.
3. Internationalen Handel stärken
Auch in der internationalen Wirtschaftspolitik brauchen wir dringend eine Kurskorrektur. Auch hier muss die Reformagenda ansetzen.
Deutschland und Europa treten aus Sicht vieler in der Welt zu ideologisch bis hin zu hochmütig auf. Ganz so, als ob sich unsere internationalen Kunden erst einmal bei uns bewerben müssten. Und dafür auch noch allerlei Auflagen und Bedingungen erfüllen. Stichwort Lieferkettengesetz. Das macht mir große Sorgen! Wir werden keine neuen Kunden und Partner gewinnen, wenn wir ihnen gegenüber nur mit erhobenem Zeigefinger auftreten! Im weltweiten Wettbewerb setzen sich auf Dauer nur Bessermacher durch, die ihren Partnern und Kunden auf Augenhöhe begegnen. Weniger ideologische Debatten – es muss wieder mehr um die Sache gehen. Denn auch zur Umsetzung unserer Energiewende brauchen wir seltene Erden, und die kommen nicht nur in demokratischen Staaten vor.
Richtig ist: Wir müssen unsere Produktion weiter diversifizieren und neue Lieferländer und Lieferstrukturen erschließen für wichtige (und essenzielle) Rohstoffe und Vorprodukte. Und das schnellstmöglich!
Richtig ist aber auch, dass wir uns nicht vollständig von wichtigen Handelspartnern abwenden sollten. Genau deswegen bin ich gemeinsam mit einigen IHK-Präsidenten nach Peking, Shenzhen und Hongkong gereist, um weiterhin die persönlichen Kontakte zu pflegen.
Am 13. Juli hat die Bundesregierung dann ihre China-Strategie vorgelegt. Auch auf unseren Rat hin wird kein "De-Coupling" angestrebt, sondern ein "De-Risking". Also eine Diversifizierung von Absatz- und Beschaffungsmärkten, um einzelne Abhängigkeiten zu reduzieren.
Es ist richtig und wichtig, an der Handelspartnerschaft mit China festzuhalten! Dazu gehört aus Sicht der deutschen Wirtschaft auch mehr Marktfairness vonseiten Chinas, das heißt, die gleichen Marktzugänge für unsere Unternehmen, wie wir sie in Deutschland und Europa auch Chinas Unternehmen gewähren.
Vor allem an drei Stellen muss der Marktzugang im Reich der Mitte verbessert werden:
- im Bereich der öffentlichen Beschaffung, wo ausländische Unternehmen gegenüber chinesischen Unternehmen deutlich im Nachteil sind,
- im Service-Sektor, zum Beispiel bei Internetdienstleistungen,
- und auch bei der Vergabe von Lizenzen, die zum Beispiel bei medizinischen Geräten zäh, unübersichtlich und generell immer mehr zugunsten lokaler Hersteller verläuft.
Deshalb fordern wir China auf, den vielfach geäußerten Versprechen auch endlich Taten folgen zu lassen, damit Reziprozität Realität wird. Die DIHK- und AHK-Kollegen haben dazu ein Papier in die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen eingebracht.
Ausblick
Verehrte Damen und Herren, in den nächsten beiden Jahren liegen Wahlen vor uns, die nicht weniger als eine politische Richtungsentscheidung liefern: Landtagswahlen in Bayern, in Hessen und in drei ostdeutschen Bundesländern. Auch die Europawahl und die Wahlen in den USA haben das Potenzial für gravierende wirtschaftliche Auswirkungen auf Deutschland.
Jetzt müssen die Weichen gestellt werden, damit der Standort Deutschland konkurrenzfähig bleibt! Das heißt: sämtliche neuen, zusätzlichen Auflagen und Regulierungen müssen kritisch hinterfragt und der vorhandene, viel zu schwere Ballast für die Unternehmen muss endlich abgeworfen werden.
Ich sehe uns als DIHK und IHKs hier in der Pflicht, Ratgeber zu sein und klare Forderungen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Sie in den Regionen, die DIHK in Berlin und Brüssel und die AHKs weltweit. Gemeinsam ermöglichen wir wie keine andere Organisation den umfassenden Praxis-Check. Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr Engagement vor Ort.
Und ich versichere Ihnen, dass auch wir hier in Berlin und Brüssel nicht müde werden und die zweite Halbzeit der Ampel mit noch verstärktem Engagement angehen. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland.