Im April 2021 wurde Dr. Wolfgang Blank zum neuen Vorsitzenden des DIHK-Ausschusses für Gesundheitswirtschaft gewählt. Ein knappes Jahr später zieht er eine erste Bilanz und gibt Einblicke in einen Wirtschaftsbereich, der seit geraumer Zeit unter besonderer Beobachtung steht.
"Der Druck war enorm"
Corona hat die beiden vergangenen Jahre in jeder Hinsicht geprägt. Wie würden Sie die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheitswirtschaft einschätzen?
Das Corona-Virus und seine Bekämpfung haben den Themen der Gesundheitswirtschaft eine hohe Aufmerksamkeit beschert. Das ist so. Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung gestiegen: Warum gibt es so wenige Masken? Wo bleibt der Impfstoff? Wann kommen die Medikamente? Der Druck war enorm. Aber: Die Wirtschaft hat zusammen mit der Wissenschaft geliefert, insbesondere bei der Impfstoffentwicklung.
Die Auswirkungen der Pandemie haben aber auch einen grundsätzlichen Nachdenkprozess ausgelöst: Wo werden etwa unsere Medikamente oder Hilfsmittel produziert? Welchen Abhängigkeiten und Risiken ist der Standort Deutschland insgesamt ausgeliefert? Und, ganz wichtig, wie können wir Fachkräfte in Medizin und Pflege durch digitalisierte Prozesse entlasten?
Digitalisierung im Gesundheitswesen, das klingt für viele nach Pflegeroboter und Datenüberwachung …
Das persönliche Gespräch mit dem Hausarzt bleibt ohne Alternative. Und die tröstende Hand der Krankenschwester im Operationssaal lässt sich nicht ersetzen. Aber mit digitalen Hilfsmitteln können Zeit und Ressourcen gespart werden. Die Videosprechstunde ist für alle sinnvoll, die sich nicht ins volle Wartezimmer setzen wollen. Oder eine gemeinsame Plattform für Krankenhäuser, um ihre Bettenauslastung darzustellen: So weiß schon der Fahrer im Rettungswagen, wo noch ein Intensivbett frei ist – und welche Einrichtung er ansteuern sollte.
Aber Innovation heißt nicht immer mehr vom Neuen. Manchmal reicht es, wenn man weniger vom Alten nimmt. Das deutsche Gesundheitssystem muss auf viele Interessenträger Rücksicht nehmen und fußt auf einem komplizierten und sektorierten Finanzierungsmodell. Das bremst uns aus. Estland lässt sich in vielerlei Hinsicht nicht mit Deutschland vergleichen. Aber ein Grundprinzip ließe sich ohne Weiteres auf Deutschland übertragen: In Estland gilt der Leitsatz, Vorgänge nach Möglichkeit nur einmal anzufassen. Die Umsetzung dieses Prinzips würde bei uns immens Ressourcen sparen.
Der erste klinisch voll geprüfte Corona-Impfstoff wurde von einem Mainzer Start-up entwickelt, hergestellt hat ihn ein US-amerikanischer Pharmakonzern.
Eine solcher Partnerschaft ist längst typisch für Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft. Bei uns gilt noch mehr als anderswo: Die Schnellen überholen die Langsamen. Um nicht zurückzufallen, braucht es Zusammenarbeit. Große Unternehmen benötigen die Agilität und Flexibilität der jungen und kleineren Betriebe. Dort kann ausprobiert und getestet werden, was in einem Konzern zu teuer und zu umständlich wäre. Und umgekehrt kann ein Start-up nicht alle Sektoren abdecken, die für den internationalen Durchbruch notwendig sind: Marktzugang, Zulassung, Finanzierung, Umsetzung, Studien, IT.
Diese Kooperationen – oft über Ländergrenzen hinweg – sind vielfach echte Innovationstreiber. Aber nicht alle Probleme lassen sich mit technologischem Fortschritt und Big Data lösen. Social Health, also das soziale Wohlbefinden, ist ein Feld, mit dem wir uns in Zukunft viel intensiver beschäftigen werden. Um über das Gesundwerden nachdenken zu können, müssen wir wissen, was uns krank macht. Und das sind eben immer öfter auch soziale Faktoren: Stress, Einsamkeit, Ängste. Bei all dem Fortschritt und all den rasanten Entwicklungen in jedem Lebensbereich dürfen wir nämlich auf eine Komponente nicht vergessen: den Menschen.
Zur Person
Dr. Wolfgang Blank ist seit 2016 Geschäftsführer der WITENO (Wissenschafts + Technologiepark Greifswald) GmbH. Er hat von 2001 bis 2014 die BioCon-Valley-Initiative des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit aufgebaut und war bis 2014 deren Gründungsgeschäftsführer. Ebenfalls seit 2014 ist Wolfgang Blank Präsident der IHK Neubrandenburg für das östliche Mecklenburg-Vorpommern.