Die Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordert unter anderem eine ausreichende Infrastruktur und einen geeigneten Rechtsrahmen. In ihrem Positionspapier "Klimaneutralität 2045" hat die DIHK-Vollversammlung festgehalten, welche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen beziehungsweise zu schaffen sind, wenn die Energiewende gelingen soll.
Klimaneutralität 2045: Aufbau neuer Infrastrukturen für die Energiewende
DIHK-Positionspapier listet zehn AnsatzpunkteDeutschland will bis 2030 seine Treibhausgasemissionen deutlich senken und bis 2045 klimaneutral werden. Die Herausforderung dabei ist, Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig eine führende Industrienation zu bleiben. Der Wandel des deutschen Energiemixes von fossilen hin zu erneuerbaren Energien bei gleichzeitig massiver Senkung des Endenergieverbrauchs ist eine Herkulesaufgabe. Dem Wirtschaftsstandort Deutschland drohen erhebliche negative Folgen, wenn nicht zügig politische Weichenstellungen umgesetzt werden, vor allem im Bereich der Infrastruktur für Energiewende und Klimaschutz. Neue Infrastrukturen und Transportwege sind insbesondere im Bereich Wasserstoff sowie für die CO2-Abscheidung erforderlich.
Die deutsche Wirtschaft gerät durch hohe Energie- und steigende CO2-Preise immer mehr unter Druck. Viele Betriebe haben nicht die Möglichkeit, durch Energieeffizienzsteigerungen und Elektrifizierung vollständig klimaneutral zu werden. Für diese Unternehmen ist der physische Zugang zu CO2-armem Wasserstoff zu internationalwettbewerbsfähigen Preisen oder zu Technologien zur CO2-Abscheidung und Speicherung sowie CO2-Infrastrukturen zwingend notwendig. Ein bilanzieller Bezug von Wasserstoff über Zertifikate ist für einen Übergangszeitraum sinnvoll, ersetzt jedoch langfristig nicht den physischen Bezug, denn Unternehmen brauchen einen langfristigen Zugang zu CO2-freier Energie. Die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten und Ausgangslagen müssen über Marktanalysen berücksichtigt werden. Erforderlich ist ein ausreichender Gestaltungsspielraum für zukünftige Nutzer, ein geeigneter Rechtsrahmen und der rasche Aufbau der Infrastruktur.
Die IHK-Organisation legt zehn Punkte zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen beim Aufbau neuer Infrastrukturen vor:
Unternehmen können betriebliche Klimaneutralität durch Grünstrom, Wasserstoffnutzung und CO2-Abscheidung erreichen. Regionale Besonderheiten sollten bei der Entwicklung der Infrastruktur berücksichtigt werden. Die verschiedenen Versorgungspfade sollten nicht primär branchenspezifisch, sondern vielmehr standortbedingt betrachtet und gestaltet sein. Besondere Aufmerksamkeit beim Aufbau der CO2- oder Wasserstoffinfrastruktur sollte auf Unternehmen gerichtet werden, die technologisch oder wirtschaftlich für ihre Produktionsprozesse auf die Infrastrukturen angewiesen sind. Dies betrifft vor allem Unternehmen, die Prozesswärme einsetzen. Von den rund 450 Terrawattstunden in diesem Bereich entfällt der größte Teil auf hohe Temperaturen. Diese Prozesse sind schwer elektrifizierbar.
Für unternehmerische Entscheidungen in Richtung betrieblicher Klimaneutralität ist es wichtig, dass Verfügbarkeiten und Kosten von verschiedenen Alternativen verglichen werden können. Dafür müssen von der Bundesnetzagentur und Netzbetreibern Daten erhoben werden, die es ermöglichen, den potenziellen lokalen und regionalen Bedarf zu skizzieren. Damit könnten auch potenzielle Unternehmens-Cluster identifiziert werden. Hierbei kann die IHK-Organisation zum Beispiel durch Befragungen unterstützen. Darüber hinaus ist eine enge Abstimmung zwischen Fernleitungsnetzbetreibern beziehungsweise supraregionalen Akteuren und den Verteilnetzbetreibern beziehungsweise regionalen oder kommunalen Akteuren sinnvoll. Das zukünftige Wasserstoff-Kernnetz sollte direkt so ausgelegt sein, dass es die bestmögliche Versorgung potenzieller Endabnehmer ermöglicht.
Deutschland wird sowohl große Mengen an Wasserstoff importieren als auch CO2 exportieren müssen, sodass es möglich sein muss, verschiedene Import- und Exportwege zu nutzen. Dazu zählen neben Pipelines auch Lkw, die Schiene und (Binnen-)Schiffe. Ebenso sollten von Beginn an zusätzlich zu den regionalen Netzen auch Speicher sowie Import- und Exportterminals in die Planung mit einbezogen werden.
Ein schneller (Um-)Bau der Infrastruktur sollte analog zum Ausbau erneuerbarer Energien und der dafür notwendigen Netze als "überragendes öffentliches Interesse" sowie als Beitrag zur öffentlichen Sicherheit eingestuft werden. So wird gewährleistet, dass die neuen Infrastrukturen zügig geschaffen werden.
Durch harmonisierte Rechtsvorschriften kann es gelingen, einen einheitlichen EU-Markt zu schaffen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Neben dem Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur ist eine europäische Strategie wichtig, um den Bedarf der Wirtschaft langfristig zu sichern. Generell gilt es, die technische Anschlussfähigkeit von Unternehmen an ein Netz sicherzustellen.
Bestehende Erdgasspeicher können teilweise auf die Einspeicherung von Wasserstoff umgerüstet werden. Aufgrund des hohen Wasserstoffbedarfs und der Notwendigkeit, die Resilienz der erneuerbaren Netze zu erhöhen, ist es zudem sinnvoll, weitere Speicherkapazitäten aufzubauen. Sollten sich diese nicht aus dem Markt heraus finanzieren können, ist ein Engagement der öffentlichen Hand notwendig. Neben Wasserstoffspeichern sind zudem CO2-Speicherkapazitäten erforderlich. Denn die Nutzung von CO2 (CCU) ist für manche Branchen zwingend notwendig, zum Beispiel in der Chemieindustrie. Es sollte daher auch geprüft werden, ob die Wiederverwendung des CO2 im Rahmen des Europäischen Emissionshandels berücksichtigt und mit Abgabenverpflichtungen verrechnet werden kann.
Es ist geplant, die Stoffgruppe der Per- und Polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) unter der EU-Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) weitgehend zu beschränken. Ganzheitlich konzipierte und zeitlich unbefristete Ausnahmeregelungen, die die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigen, sind für den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur notwendig. Sollte dies nicht erfolgen, wäre der Ausbau der erneuerbaren Energien gefährdet und somit die betrieblichen Klimaziele nicht erreichbar.
Die Bundesregierung sollte die beteiligten Akteure einschließlich der IHK-Organisation dabei unterstützen, der breiten Öffentlichkeit transparent mit Daten und Fakten die Wichtigkeit dieser Technologien aufzuzeigen.
Die notwendigen Investitionen sollten als von überragendem öffentlichen Interesse anerkannt und übergangsweise durch europäische oder nationale Förderungen mitfinanziert werden. Dafür ist es erforderlich, das Instrument der IPCEIs (Important Projects of European Common Interest – Wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse) zu entbürokratisieren, zu beschleunigen und dadurch für den Mittelstand nutzbar zu machen. Das schafft Anreize für einen flächendeckenden und zügigen Ausbau in der EU. Der Staat kann die Amortisation der Leitungen für den Fall absichern, dass sich die Wasserstoffnutzung oder der CO2-Transport verzögert und so die Rentabilität gefährdet ist.
Damit es für Unternehmen auch wirtschaftlich attraktiv wird, die neuen Infrastrukturen zu nutzen, ist es notwendig, die Netzentgelte für die ersten Netznutzer in der Markthochlaufphase zu deckeln und den Netzbetreibern eine Kompensation zu zahlen. Andernfalls würden "First Mover" überproportional belastet und die Etablierung des Wasserstoffmarktes würde stark ausgebremst. Um mögliche Verzerrungen zwischen den einzelnen Bundesländern beim Aufbau des Netzes zu verringern, sollten die Netzentgelte zudem auf nationaler Ebene harmonisiert werden.
Das Papier gibt es hier auch zum Download: