Der menschengemachte Klimawandel ist eine drängende Herausforderung. Um Deutschland tatsächlich bis 2045 klimaneutral zu machen, müssen nach aktuellen Schätzungen rund fünf Billionen Euro in die Transformation aller Wirtschaftssektoren investiert werden. Mit ihrer "Sustainable Finance"-Strategie will die EU diese Investitionen zusätzlich lenken – mit gravierenden Konsequenzen für Unternehmen aller Größenklassen.
Sustainable-Finance-Regulierung für Unternehmen aller Größen relevant
Komplexer Klassifizierungsrahmen bringt umfangreiche BerichtspflichtenDer Begriff Sustainable Finance beschreibt die Umlenkung der Finanzströme in nachhaltige Unternehmen durch Finanzintermediäre, also vor allem Banken. Dabei geht das Konzept der Europäischen Kommission für "Nachhaltigkeit" deutlich über die Verringerung von CO2-Emissionen hinaus: Neben den klassischen Zielen im Umweltbereich sind langfristig auch Sozialstandards sowie Standards zur Unternehmensführung geplant. Alle diese Aspekte werden mit dem Begriff "ESG" (für Environment, Social, Governance) zusammengefasst.
Mit umfangreichen, verzahnten Regulierungsansätzen versucht die EU, das Finanzsystem dazu zu bewegen Investitionsströme in nachhaltige Projekte zu lenken und den "Europäischen Green Deal" umzusetzen. Dabei entsteht ein Regelungsgeflecht, das insbesondere für kleinere Betriebe kaum beherrschbar ist. Diese sollen zwar zunächst von unmittelbaren Berichtspflichten verschont bleiben, sind in der Praxis aber oft schon heute betroffen – sei es als Zulieferer berichtspflichtiger Unternehmen, sei es aufgrund schlechterer Finanzierungskonditionen.
Im Wesentlichen werden drei Instrumente eingesetzt:
- Die seit 2022 geltende, aber noch im Ausbau befindliche "EU-Taxonomie" definiert ESG-Kriterien, die Wirtschaftstätigkeiten erfüllen müssen, um als nachhaltig eingestuft zu werden.
- Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die bis Mitte 2024 in nationales Recht umgesetzt sein muss, erweitert die bestehenden Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung.
- Schon heute verpflichtet die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) Finanzdienstleister dazu, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsinformationen zu ihren Strategien, Prozessen und Produkten offenzulegen. Im Ergebnis soll die Nachhaltigkeit von Finanzmarktprodukten wie etwa Fonds für Investorinnen und Investoren klarerer erkennbar werden.
Derzeit ist erst ein kleiner Teil der geplanten Regulierungen in Kraft. Doch es zeigt sich bereits, dass die ESG-Daten auf dem Kapitalmarkt nachgefragt werden und Effekte haben. Indem sie Anlegern Informationen für ihre Entscheidungsfindung und Unternehmensbewertung zur Verfügung stellt, soll die ESG-Berichterstattung es ermöglichen, nachhaltige Investitionen besser zu identifizieren. Damit werden die Kosten legitimiert, die bei der Erhebung der Daten entstehen. In der betrieblichen Praxis sind die Unternehmen nun nicht mehr nur mit den Nachhaltigkeitsinvestitionen selbst, sondern auch mit dem enormen Bürokratieaufwand ihrer Kategorisierung beschäftigt.
Für die Unternehmen der Realwirtschaft sind vor allem die Taxonomie und die CSDR-Regulierung von Belang, sie werden deshalb im Folgenden genauer betrachtet.
ESG-Taxonomie: Kriterienkataloge für umweltfreundliches Handeln
Als Herzstück der Sustainable-Finance-Regulierung dient die sogenannte Taxonomie. Die EU-Taxonomie-Verordnung ist im Juli 2020 in Kraft getreten und wird derzeit ausgebaut.
Sie bietet Unternehmen und Investoren anhand von kleinteilig ausformulierten Kriterien Anhaltspunkte dafür, inwieweit ein Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen zu den insgesamt sechs von der EU benannten ökologischen Nachhaltigkeitszielen beiträgt und wie die Aktivitäten unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu bewerten sind. So soll Transparenz hergestellt und im Ergebnis die Finanzierung klima- und umweltfreundlichen Wirtschaftens begünstigt werden.
Konkret umfassen die sechs Ziele die Bereiche Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.
Bisher hat die Kommission für die beiden Ziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel konkrete Inhalte formuliert – also beispielsweise für den Verkehr, die CO2-Abgasemissionen in der Gebäudeausrüstung, die Überwachung und Regulierung von Heizungsanlagen und vieles mehr.
Die Ausweitung der Taxonomie auf die übrigen vier Ziele steht bevor. Die DIHK hat sich an einer Konsultation hierzu beteiligt.
Generell gilt: Damit eine Maßnahme unter der EU-Taxonomie als nachhaltig gelten kann, muss sie drei Bedingungen erfüllen:
- Es wird ein wesentlicher Beitrag zu mindestens einem der sechs Klimaschutzziele geleistet.
- Durch die Maßnahme wird keinem anderen Ziel ein erheblicher Schaden zugefügt.
- Soziale Mindeststandards werden eingehalten.
Zweck der Taxonomie ist nicht, Unternehmen vorzuschreiben, welche Art der Investitionen sie tätigen sollen. Nicht-taxonomiekonforme Investitionen gelten nicht automatisch als "braun". Ebenso bewertet die Taxonomie weder die "Grünheit" eines Unternehmens noch die finanzielle Performance eines Investments.
CSRD erweitert Berichtspflichten im Jahresabschluss
Auf Grundlage der EU-Taxonomie wird künftig die Corporate Sustainability Reporting Directive viele Unternehmen verpflichten, darüber zu informieren, wie sie sozialen und ökologischen Herausforderungen begegnen. Die CSRD weitet die Inhalte und den Geltungsbereich der bereits bestehenden Richtlinie zur Berichterstattung über nicht finanzielle Informationen (Non-Financial Reporting Directive, NFRD) aus.
Auf EU-Ebene wurde sie Ende 2022 verabschiedet; bis Juli 2024 muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Mit Inkrafttreten der CSRD in Deutschland wird die Zahl der Unternehmen, die hierzulande im Jahresabschluss einen Nachhaltigkeitsbericht abliefern müssen, von etwa 500 auf rund 15.000 steigen. (Mehr darüber lesen Sie hier.)
Die DIHK hat sich im Januar 2023 zur neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung geäußert:
DIHK-Stellungnahmen CSRD (PDF, 306 KB)
Mit Stand Juni 2023 sind rund um die Sustainable-Finance-Regulierung bereits folgende Anwendungspflichten beachten:
Banken müssen seit dem 1. Januar 2022 ihre "Taxonomie-Eligibility" ermitteln, also angeben, für welchen Anteil der von ihnen verwalteten Vermögenswerte es überhaupt Taxonomie-Kriterien gibt. Ab 2024 sind sie dann verpflichtet, jährlich zu berichten, wieviel Prozent der eigenen Finanzierungen mit den Nachhaltigkeitsanforderungen der Taxonomie konform sind ("Green Asset Ratio").
Gleichzeitig müssen seit Anfang 2022 zunächst kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern – beispielsweise Aktiengesellschaften – Angaben darüber machen, ob und in welchem Umfang für ihre Wirtschaftsaktivitäten Taxonomie-Kriterien definiert sind. Seit 2023 müssen sie zudem ihre "Taxonomie-Compliance" offenlegen, also angeben, ob die Kriterien eingehalten werden.
Zusatzangaben auch in nichtfinanziellen Erklärungen
Für bestimmte Unternehmen schreibt die EU-Kommission in Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung zudem vor, Transparenz in nichtfinanziellen Erklärungen herzustellen. Jedes Unternehmen, das zur Veröffentlichung einer (gegebenenfalls konsolidierten) nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet ist, muss darin angeben, wie und in welchem Umfang es sich mit Wirtschaftstätigkeiten befasst, die gemäß Taxonomie-Verordnung als ökologisch nachhaltig einzustufen sind.
Zu nennen ist insbesondere der Anteil der Umsatzerlöse, der mit entsprechend klassifizierten Produkten oder Dienstleistungen erzielt wird, aber auch die Quote der "nachhaltigen" Investitions- und Betriebsausgaben.
Inhalt und Darstellung der zu liefernden Angaben hat die EU-Kommission in einem weiteren Rechtsakt erläutert. Darin ist auch die Methode beschrieben, mit der die Unternehmen die Informationen zur Verfügung stellen müssen.
Für große Unternehmen ab 2024
Bestimmte große Unternehmen müssen die neue Nachhaltigkeitsrichtlinie unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung grundsätzlich ab den Geschäftsjahr 2024 anwenden, kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Betriebe ab dem Geschäftsjahr 2026 – mit der Möglichkeit, die Erstanwendung gegebenenfalls noch ein etwas zu verschieben.
Die EU-Nachhaltigkeitsberichtsstandards, die festlegen, was und in welcher Form die betroffenen Betriebe berichten müssen, werden derzeit noch entwickelt.
Klar ist aber schon heute: Die berichtspflichtigen Unternehmen müssen nicht nur Umweltinformationen in ihren Nachhaltigkeitsbericht aufnehmen, sondern auch Informationen zu sozialen Angelegenheiten, zur Behandlung von Mitarbeitenden, zur Achtung der Menschenrechte, zur Korruptionsbekämpfung und zur Vielfalt in den Unternehmensvorständen (in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bildungs- und Berufshintergrund).
Branchenspezifische EU-Standards und Nachhaltigkeitsberichtsstandards für die kapitalmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen sollen ebenfalls noch ausgearbeitet werden.
Förderregeln könnten ebenfalls betroffen sein
Bei alldem zeichnet sich ab, dass die Taxonomie-Kriterien nicht wie ursprünglich geplant nur für den Finanzmarkt als Richtschur gelten werden, sondern unter anderem auch bei staatlichen Förderregeln zur Anwendung kommen und somit über eine Förderfähigkeit mitentscheiden.
Nicht zuletzt gilt in der Praxis: Banken und die aktuell bereits berichtspflichtigen Unternehmen reichen die an sie gestellten Anforderungen vielfach an ihre Kunden beziehungsweise Zulieferer weiter. Denn um Kennzahlen berechnen oder die eigene Taxonomie-Konformität umfassend beurteilen zu können, benötigen sie auch deren Daten. Das ist ein hoch komplexes Unterfangen – und wird sich unter anderem empfindlich auf die Kreditvergabe gerade an kleinere Betriebe auswirken.
Offene Fragen rund um Trennschärfe und Umsetzung
Aus heutiger Sicht kann nicht abschließend bewertet werden, inwieweit sich die angestrebten klima- und umweltpolitischen Effekte mithilfe der Sustainable-Finance-Regulierung erreichen lassen.
Unternehmen, die heute zum Beispiel noch viel CO2 ausstoßen, machen sich vielfach auf den Weg, ihre Produktionsverfahren und Energieversorgung umzustellen. Dieser Wandel hin zur Klimaneutralität sollte erleichtert werden, indem der Zugang zu Finanzierungen für die notwendigen Investitionen einfacher wird. Ob hier die Regulierung eine Verbesserung bringt, ist noch unklar.
Am Kapitalmarkt werden zunehmend "grüne Finanzierungsinstrumente" emittiert. In der Kreditfinanzierung gerade für kleine und mittlere Unternehmen überwiegen die kritischen Einschätzungen. Standardisierte "grüne Kredite" gibt es bisher praktisch nicht.
Gründliche Vorbereitung ist ratsam
Die Sustainable-Finance-Regulierung bildet ein lebendiges Regelwerk, das ständig weiterentwickelt und ausgeweitet werden soll. Die bereits heute hohe Komplexität wird also weiter zunehmen und für Betriebe aller Größenkategorien erheblichen Aufwand mit sich bringen.
Auch kleine und mittlere Unternehmen sollten sich nicht nur mit den betriebswirtschaftlichen Herausforderungen der Transformation beschäftigen, sondern müssen schon heute und künftig immer häufiger Daten zur eigenen Nachhaltigkeit gegenüber Geschäftspartnern und Banken offenlegen.
Sie sind daher gut beraten, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen – und sich bei einer Verbesserung dieser Bilanz stärker an den Umweltzielen der EU zu orientieren. Denn wie Betriebe mit Blick auf die Sustainable-Finance-Regulierung abschneiden, wird voraussichtlich in Zukunft auch über ihren Zugang zu Finanzierungen und deren Konditionen bestimmen.