Der Sustainable-Finance-Beirat wurde von der Bundesregierung ins Leben gerufen, um die Transformation der Finanzmärkte mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele zu begleiten. Berufenes Mitglied ist seit 10. Juni 2022 auch Christian Jöst. Was ihn antreibt und warum er als Mittelständler besonders betroffen ist, erklärt er hier.
"Jeder Kunde schickt einen anderen Fragebogen"
Interview mit Beiratsmitglied Christian JöstHerr Jöst, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Christian Jöst, ich führe zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder die Jöst GmbH im südhessischen Wald-Michelbach. Wir sind ein mittelständischer Familienbetrieb mit etwa 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hergestellt werden von uns Schleifmittel, Schleifsysteme, Reinigungspads und Reinigungsmaschinen – und zwar nach höchsten Umweltstandards. 95 Prozent aller Reinigungsarbeiten auf Fußböden lassen sich mit den von uns entwickelten Reinigungspads und Maschinen chemiefrei – also nur mit Wasser – durchführen. Das schätzen Großhändler aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt.
… und was hat das nun mit Sustainable Finance zu tun?
Wenn ich mich als Mittelständler über die vielen Dokumentationspflichten – etwa zum grundsätzlich wichtigen Thema Nachhaltigkeit – beschwere, heißt es oft: Was regst du dich auf, du bist doch gar nicht berichtspflichtig! In der Theorie mag das stimmen, aber die Praxis sieht anders aus. Unter unseren Kunden sind zahlreiche Konzerne, deren Lieferanten der CSR-Berichtspflicht unterliegen – und damit auch wir. Mit den meisten Aufträgen, die wir von Großkunden erhalten, flattert also ein umfangreicher Fragebogen in unser Haus, den wir ausfüllen müssen.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Im letzten Jahr war ich bestimmt zehnmal mit der Frage konfrontiert, ob ich in meinem Betrieb Kinder beschäftige oder mich der Zwangsarbeit schuldig mache. Als deutsches Unternehmen, das ausschließlich in Deutschland nach deutschem Recht produziert! Von solchen Kuriositäten abgesehen, ist der bürokratische Aufwand einfach enorm: Es gibt keinen standardisierten Fragebogen, jeder Konzern hat seinen eigenen. Rekordumfang waren übrigens 60 Seiten. 60 Seiten!
Sehr große Unternehmen können damit umgehen. Sie verfügen über Abteilungen, die sich nur um diese Angelegenheiten kümmern. Für Inhaber von kleinen und mittelständischen Betrieben bedeutet das aber unbezahlte Mehrarbeit, die vom eigentlichen Job abhält. Im vergangenen Jahr sind in meinem Unternehmen 33 Personentage angefallen – allein für das Ausfüllen von Fragebögen.
Was können Sie als Beiratsmitglied daran ändern?
Zuerst einmal will ich ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Rolle kleine und mittelständische Unternehmen für die deutsche Wirtschaft spielen. In meinem Kammerbezirk sind 65.000 Betriebe beheimatet, davon haben 95 Prozent fünf Mitarbeiter oder weniger. Ich sehe mich als Vertreter dieser Betriebe, die besonders unter bürokratischen Vorgaben zu leiden haben. Vielen Politikerinnen und Politikern ist gar nicht bewusst, dass Regeln, die für global agierende Konzerne gedacht sind, oftmals auch KMUs direkt treffen.
Und zum anderen will ich erreichen, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit stärker an die unternehmerische Praxis denken. Wie eben bei der CSR-Berichtspflicht: Warum reicht es nicht, wenn ein Unternehmer die erforderlichen Daten einheitlich in einem standardisierten Verfahren übermittelt und alle weiteren Kunden auf diesen Datensatz zugreifen können? Das würde den Zweck genauso erfüllen und viel Arbeit ersparen. Solche konkreten Anliegen aus der Praxis müssen auf die politische Agenda!
Zur Person
Christian Jöst engagiert sich neben seiner unternehmerischen Tätigkeit als Vizepräsident der IHK Darmstadt. Er hat dort den Vorsitz des Lenkungskreises Unternehmen Verantwortung sowie des Ausschusses Industrie, Forschung und Innovation inne. Außerdem ist er ehrenamtlich als Vorstand der Strahlemann-Stiftung tätig.