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Für einen fairen E-Commerce

DIHK unterbreitet 10 Maßnahmen-Vorschläge

Der deutsche Einzelhandel – stationär wie online – ist auf gute und faire Wettbewerbsbedingungen angewiesen. Die zunehmende Präsenz von E-Commerce-Direktvertriebsmodellen aus Drittländern stellt eine wachsende Herausforderung dar. Während deutsche und europäische Unternehmen strengen Regulierungen unterliegen, richten sich einige außereuropäische Online-Marktplätze nicht nach den in Europa geltenden Standards und Vorgaben und vermeiden dadurch erhebliche Kosten und Aufwand. 

Aktuelle Situation 

Außereuropäische Plattformen drängen derzeit verstärkt auf den europäischen Markt. Die niedrigen Preise wirken für Kunden attraktiv. Zugleich steht der Vorwurf unlauterer Geschäftspraktiken im Raum. Einige Wettbewerber halten Produktsicherheitsvorschriften oder sonstige Schutzstandards nicht ein oder umgehen EU-Zollregelungen. Schätzungen gehen davon aus, dass in der EU über eine Milliarde Kleinwarensendungen jährlich eintreffen. Täglich gelangen etwa 400.000 Pakete allein aus China nach Deutschland. 

Bei einigen Anbietern kommt es zur weitreichenden Unterdeklarierung und damit unter anderem zu einer Hinterziehung der Einfuhr- beziehungsweise Umsatzsteuer. Schätzungen zufolge entgehen dem Fiskus Einnahmen in Milliardenhöhe. Zudem werden europäische Produkt-, Sozial-, Umwelt- und Markenstandards umgangen. Diese illegalen Praktiken gefährden hiesige Geschäftsmodelle. Hinzu kommen direkte Risiken für den Endverbraucher. Mangelnde Ressourcen und Fähigkeiten bei den europäischen und nationalen Kontrolleinrichtungen begünstigen diese Vorgehensweisen. 

Bisherige Aktivitäten von Politik und Verwaltung 

Angesichts dieser Entwicklungen hat die Europäische Union reagiert: Innerhalb der EU enthält der Digital Services Act (DSA) seit 2024 besondere Regeln für sehr große Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, VLOP). Diese sind Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzern in der EU. Im Frühjahr 2024 hat die EU-Kommission anhand dieser Kriterien auch zwei asiatische Plattformen (Temu und SHEIN) als VLOP eingestuft. 

Dementsprechend mussten diese Online-Marktplätze seit Ende September beziehungsweise August 2024 strengere Maßnahmen vor allem im Kampf gegen illegale Produkte und Inhalte ergreifen. Dazu gehört vor allem die Auslistung von gefälschten Waren, unsicheren oder illegalen Produkten und allgemein von Gegenständen, die Rechte an geistigem Eigentum verletzen. Zusätzlich wurde Temu explizit von der EU-Kommission aufgefordert, darzulegen, wie das Unternehmen Risiken im Bereich Verbraucherschutz, öffentlicher Gesundheit und Wohlergehen der Nutzer minimiert. 

Die EU-Kommission setzte dabei eine Umsetzung dieser Maßnahmen bis zum 21. Oktober 2024 voraus – Ergebnis bisher offen. Sollten die einschlägigen Plattformen jedoch die Anforderungen nicht erfüllen, verfügt die EU-Kommission über weitreichende Untersuchungs- und Sanktionsbefugnisse, um diese an die in der EU geltenden Richtlinien heranzuführen. Erste Auskunftsersuchen wurden bereits an VLOPs gestellt und betreffen unter anderem deren Kontrollmechanismen und technischen Vorkehrungen zur Risikominderung. Der DSA deckt jedoch nur einen Teilbereich der Gesamtproblematik ab. 

10 DIHK-Maßnahmen-Vorschläge 

Angesichts der enormen Auswirkungen der Plattformen auf die deutsche Wirtschaft sind jedoch weitere Maßnahmen erforderlich. Die DIHK hat hierfür einen 10-Punkte Maßnahmenkatalog erstellt:

Der Warenverkehr ist Kernangelegenheit der EU. Daher gilt es vor allem, das europäische Instrument des Digital Services Act zu nutzen und dessen Anforderungen zeitnah und nachhaltig umzusetzen. Insofern ist die EU-Kommission aufgefordert, die großen Online-Plattformen in Europa und aus Drittstaaten differenziert zu analysieren und dazu angemessene Ressourcen und Personal vorzuhalten oder aufzubauen, damit die zwingenden, rechtlichen Pflichten auch durchgehend praktisch eingehalten werden. Notwendig ist eine effektive Kontrolle der Einfuhren bzgl. der Legalität der Produkte, der Produktsicherheit und einer angemessenen Käuferinformation. Der nationale Koordinator zur Umsetzung des DSA (in Deutschland die Bundesnetzagentur) sollte die Anliegen der Wirtschaft besonders im Blick halten. 

Auch wenn vielfach moderne und effiziente Produktion on demand einen geringen Preis ermöglichen, gelangen aktuell Produkte zu unfairen Preisen auf den europäischen Markt, wenn zum Beispiel die Produktion stark staatlich subventioniert wird und es so möglich ist, zu Dumpingpreisen anzubieten. Nach Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) sind Exporte zu Preisen unterhalb der Herstellungskosten verboten. Zukunftssichere Handelsregeln müssen der zunehmenden Digitalisierung des Welthandels Rechnung tragen. WTO-Regeln sind größtenteils auf traditionelle Handelsformen ausgerichtet. Eine Reform und Erweiterung des Regelwerks, um spezifische Herausforderungen von E-Commerce-Plattformen zu adressieren, ist notwendig. 

Sendungen von Anbietern aus Drittstaaten dürfen nicht unter Wert deklariert werden, um die Zollkosten beziehungsweise teilweise auch die Einfuhr- beziehungsweise Umsatzsteuer zu umgehen. Dies muss durch zwischen den EU-Staaten abgestimmte, effektive Kontrolle der Einfuhren und der damit verbundenen Umsatzsteueranmeldung/-zahlung über den Import-One- Stop-Shop (IOSS) unterbunden werden. Zollbehörden müssen neben der generellen Gültigkeit der IOSS-Nummer auch deren Zuordnung zum einführenden Händler prüfen. 

Die Unterstützungsmaßnahmen des Weltpostvereins sind auf die spezifischen Entwicklungsstufen der Mitgliedsländer angepasst. Insbesondere für Entwicklungsländer sind die Portogebühren im globalen Postverkehr gering. Diese in der Sache berechtigte Unterstützung sollte jedoch nicht dazu führen, dass Unternehmen aus Ländern, die diesen Status bereits hinter sich gelassen haben, ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile erlangen. Beim außerordentlichen Weltpostkongress 2019 wurden bereits Anpassungen vorgenommen. Dennoch bleiben eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der geltenden Portosätze sowie der Einstufung der Mitgliedsstaaten notwendig, um fairen Wettbewerb bei Transportkosten zu gewährleisten. 

Die von der Europäischen Kommission im Rahmen der EU-Zollreform geplante Einführung des sogenannten "fiktiven Einführers" sollte frühzeitig erfolgen, um E-Commerce Plattformen bei der Zollschuld in die Haftung zu nehmen. Zusätzlich könnte eine Erweiterung des Konzepts auf Sanktionsmaßnahmen beim Verstoß gegen EU-Standards, zum Beispiel in der Produkt-Compliance, wichtige Verbesserungen bringen. Erhöhte Einnahmen und eine Entlastung des Zolls wären damit schon zeitnah und nicht erst im Rahmen der EU-Zollreform in einigen Jahren möglich. Langfristig kann die im Rahmen der EU-Zollreform geplante Verbesserung der Sicherheits- und Risikoanalyse durch eine stärkere Verzahnung der Behörden Verbesserungen bringen. So könnten einerseits heterogene nationale Zollpraktiken reduziert werden und andererseits eine bessere Risikobewertung durch den vereinfachten Datenfluss stattfinden. Angesichts der massiv gestiegenen Sendungszahlen und neuen Anforderungen durch den E-Commerce ist es von entscheidender Bedeutung, dass Zollbehörden in Deutschland und in den anderen EU-Staaten auf effiziente Strukturen und Prozesse setzen. Zudem sollten sie Personal speziell für den E-Commerce-Bereich bereitstellen und dieses gezielt einsetzten. Darüber hinaus sollte der Austausch der Generalzolldirektion mit Zollbehörden in Drittländern intensiviert werden. 

Ein hoher Anteil der eingeführten Produkte entspricht nicht den EU-Vorschrift en und ist damit nicht verkehrsfähig, wie auch Verbraucherverbände wiederholt feststellten. Die Zahlen der täglich gemeldeten Verstöße im Rahmen des notice and take down Prinzips bewegen sich bei den als VLOPs designierten Plattformen wegen illegaler Inhalte1 in den Millionen. Um im Interesse von Verbrauchern und Unternehmen den Umlauf gefälschter, nicht den europäischen Produktsicherheitsstandards entsprechender oder gesundheitsschädlicher Produkte zu unterbinden, sollten Vollzugsdefizite in den Marktüberwachungsbehörden angegangen werden. Darüber hinaus ist es wesentlich, Verbraucher über Qualitätsunterschiede und -risiken zu informieren. Hier könnten gezielte Aufklärungskampagnen zur Sensibilisierung beitragen. 

Moderne Direktvertriebsmodelle basieren neben klassischen Webportalen zugleich auf internetfähigen Applikationen (Apps), die bei der Kundengewinnung eine wichtige Rolle spielen. Dabei kommen häufig manipulative (Design-) Techniken wie Dark Patterns oder Gamification sowie unzulässige Online-Werbung zum Einsatz. Zusätzlich haben Anbieter umfangreichen Zugriff auf private Daten der Nutzer. Die Einhaltung der einschlägigen Regulierungen, darunter der DSGVO und des DSA, sollte durch die Bundesnetzagentur beziehungsweise durch die lokalen Datenschutzbehörden sichergestellt werden – auch für Anbieter aus Drittstaaten. 

Große Teile der in die EU eingeführten Waren halten nicht die Umwelt- und Produktsicherheitsstandards der EU ein. Beispiele sind Stoffbeschränkungen im Chemikalienrecht sowie die Herstellerverantwortung für Elektrogeräte, Fahrzeuge oder Verpackungen. Diese Anforderungen wurden gesetzlich mit dem Green Deal deutlich erweitert, beispielsweise um die erweiterte Herstellerverantwortung zur Entsorgung. Bei der Umsetzung der zahlreichen Neureglungen, etwa zur Rücknahme, Kennzeichnung und Entsorgung von Verpackungen, Elektrogeräten oder Textilien, sollten Bundesregierung und EU-Kommission auf die Umsetzung auch im Bereich des Direktvertriebs aus Drittstaaten achten, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen.

Sanktionen gegenüber Direktvertriebsmodellen aus Drittstaaten können derzeit häufig nicht oder nur sehr schwer durchgesetzt werden, weil die Rechtsverfolgung im entsprechenden Drittstaat erfolgen müsste. Daher ist es notwendig, dass alle in der EU agierenden großen Marktplätze – auch über die benannten VLOPs hinaus – verpflichtet werden, eine verantwortliche Ansprechperson für Behörden und für Kunden in Europa zu benennen. Zu prüfen wäre, ob diese Vertreter auch haftungsrechtlich verantwortlich gemacht werden könnten. 

Während sich die europäischen Bemühungen vornehmlich auf die Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels konzentrieren, schaff en Drittstaaten wie China mit Hochdruck die globalen Standards und Strukturen für den Online-Handel von morgen. Europa und Deutschland benötigen hierauf eine Antwort in Form einer zukunftsorientierten Handelsstrategie, um im internationalen ECommerce wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein wesentlicher Schritt ist die Schaffung gleicher Marktbedingungen für europäische und außereuropäische Händler. Es existieren bereits umfangreiche Regelungen, die europäische Unternehmen belasten. Statt zusätzlicher Regularien sollte der Fokus auf der konsequenten Durchsetzung und Überwachung bestehender Vorschriften liegen. Dies erfordert, dass zuständige Behörden über ausreichende Kapazitäten verfügen, sei es durch personelle Verstärkung oder durch Effizienzgewinne durch digitalisierte Prozesse. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass Anbieter aus Drittstaaten keine ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile durch Subventionen entlang ihrer Wertschöpfungskette erhalten. Die Politik ist nun gefordert, zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln und rasch umzusetzen, um Europas Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern und zugleich einen offenen Markt zu fördern. 

 
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Porträtbild Dirk Binding, Bereichsleiter Dienstleistungen | Infrastruktur | Regionalpolitik
Dirk Binding Bereichsleiter Digitale Wirtschaft, Infrastruktur, Regionalpolitik