Deutschland und Europa wollen bis Mitte des Jahrhunderts treibhausgasneutral sein. Auf diesem Weg werden sich die Energieversorgung insbesondere in den Bereichen Industrie, Verkehr und Gebäude sowie viele Produktionsprozesse – auch die Wirtschaftsstruktur insgesamt – grundlegend wandeln.
Mit Wasserstoff auf globale Märkte
Auslandserfolge erfordern ein Schaufenster in DeutschlandWarum Wasserstoff?
Als zentraler Energieträger der Zukunft gilt Strom aus erneuerbaren Energien allgemein als gesetzt. Aus Sicht vieler Experten benötigt die Transformation aber eine zweite Säule aus CO2-armen Gasen und Treibstoffen. Insbesondere Wasserstoff kann aufgrund seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten hier eine zentrale Rolle spielen. Vorteile bietet der Energieträger zudem für das System als Ganzes: Wasserstoff und Derivate können über größere Distanzen transportiert werden und aufgrund der Speicherfähigkeit eine zentrale Rolle für die Versorgungssicherheit übernehmen.
Die Bundesregierung teilt diese Sicht. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sollen bis 2030 in Deutschland Elektrolyseure mit einer Gesamtleistung von zehn Gigawatt entstehen, sich der Wasserstoffbedarf für Grundstoffgewinnung und Energieerzeugung mehr als verdoppeln und Anwendungen in die Breite kommen. Schritt für Schritt soll eine komplette Wertschöpfungskette aufgebaut werden.
Damit hat sich in Deutschland ein Konsens etabliert, dass Wasserstoff als Energieträger einen Beitrag zum Klimaschutz und zum Ziel der Klimaneutralität leisten kann. Wie groß die Rolle von Wasserstoff im neuen Energiesystem sein soll, wird allerdings unterschiedlich bewertet.
Wasserstoff als Chance für den Industriestandort Deutschland
So hat sich in Deutschland eine Diskussion entwickelt, in welchen Branchen Wasserstoff als Energieträger genutzt werden sollte, ob Autos mit Brennstoffzellen fahren und Gebäude mit Wasserstoff beheizt werden dürfen. Weil Wasserstoff zumindest für eine Übergangszeit ein knappes Gut ist, wird man an einer Diskussion über dessen Verteilung zeitweise kaum vorbeikommen.
Für eine erfolgreiche und kosteneffiziente Klimapolitik wäre es aber sinnvoll, nationale Vorreitermaßnahmen zu ermöglichen, die international anschlussfähig sind. Wasserstoff könnte dann sein wirtschaftliches Potenzial ausspielen und zu einer Chance für einen wettbewerbsfähigen und innovativen Wirtschafts- beziehungsweise Industriestandort Deutschland werden.
Hersteller von Maschinen und Anlagen könnten neue Geschäftsfelder entwickeln und die starke Position von Technologien "made in Germany" auf den Weltmärkten – auch im Dienste des Klimaschutzes – ausbauen. Doch was ist ein Produkt ohne show case? Daher ist es von immenser Bedeutung, dass sich in Deutschland ein effizienter und liquider Markt für das Produkt Wasserstoff etablieren kann.
Rahmenbedingen für einen Wasserstoffmarkt
Damit Unternehmen Wasserstoff in der Produktion oder zur Energiegewinnung einsetzen, ist ein Markt notwendig, auf dem CO2-neutraler Wasserstoff als qualitativ hochwertiges, verständliches und sicher handhabbares Produkt angeboten wird. Zentrale Voraussetzung ist zudem, dass Wasserstoff preislich mit fossilen Alternativen konkurrieren kann. Hierfür ist es wichtig, einen kosteneffizienten Markthochlauf zu gestalten. Auf der Nachfrageseite könnte dessen zentrale Triebfeder die explizite CO2-Bepreisung sowie eine technologieneutrale Definition von CO2-neutral erzeugtem Wasserstoff sein.
Aufgabe der Hersteller wird es sein, über Skalierung die Investitionskosten zu senken. Die Politik kann den Prozess durch sinkende variable Kosten unterstützen, indem die Stromnebenkosten niedrig bleiben und eine hohe Auslastung der Anlagen möglich ist. Ein zügiger Ausbau der Windkraft und Photovoltaik ist hierfür eine entscheidende Voraussetzung. Dies ist umso wichtiger, als grüner Wasserstoff absehbar die Referenz der Herstellungsverfahren sein wird.
Darüber hinaus sollte für einen breiten Markthochlauf dieses Produkt die Chance erhalten, sich in allen Anwendungsfeldern zu bewähren. Das gilt beispielsweise auch für Märkte, in denen nicht allein nach wirtschaftlichen Erwägungen entschieden wird.
So können Käufer von Brennstoffzellen-Pkw und -heizungen mit ihrer hohen Zahlungsbereitschaft in besonderem Maß den Markthochlauf unterstützen. Gerade auch im Gebäudebereich ist die Anwendung dort denkbar, wo weiterhin gasförmige Energieträger für eine ausreichende Gebäudebeheizung nötig sein werden.
Zur Erzeugung von Prozesswärme besteht hohes Interesse an einem CO2-neutralen Energieträger Wasserstoff. Bei bestimmten industriellen Grundstoffen oder in Raffinerien, in denen trotz der großen benötigen Wasserstoffmengen der Wertschöpfungsanteil gering ist, wird die Lücke zur Wirtschaftlichkeit am besten zu überbrücken sein. Je breiter die Nachfrage Fahrt aufnimmt, desto weniger zusätzliche und oft kostspielige Anschubinstrumente sind notwendig.
Zur erfolgreichen Umsetzung braucht Deutschland zudem eine geeignete Transportinfrastruktur, also Pipelines und Tankstellen. Da nicht jeder Betrieb sofort an ein Wasserstoffnetz angeschlossen werden kann, könnte die Politik als Übergangslösung den Handel mit Zertifikaten ermöglichen.
Das Prinzip ist bekannt: Ein Unternehmen kauft ein Zertifikat für klimaneutralen Wasserstoff, bezieht aber bis zum Anschluss an das Wasserstoffnetz weiter zum Beispiel Erdgas. Verbraucht wird der Wasserstoff dann an anderer Stelle, beispielsweise im Verkehr. Ähnlich funktioniert das derzeit beim Ökostrom. Hier kauft der Verbraucher bilanziell grünen Strom – aus der Steckdose kommt aber zunächst der regionale Mix. Durch den bilanziellen Bezug von Wasserstoff lässt sich nicht zuletzt feststellen, an welchen Orten der höchste Wasserstoffbedarf besteht und damit die Infrastruktur nachfragegetrieben wachsen kann.