Was kurzfristig getan werden kann
10 Vorschläge für rasch wirksame MaßnahmenDie Unternehmen brauchen eine neue und langfristige Perspektive für ihr Wirtschaften am Standort Deutschland, das zeigt das diesjährige Energiewende-Barometer der IHK-Organisation. Die Politik muss eine Strategie aufzeigen, die nicht nur klare Ziele für die Energiewende, sondern auch verlässliche und glaubwürdige Rahmenbedingungen für das Wirtschaften am Standort Deutschland nach 2030 aufzeigt.
Nur dann gewinnen die Unternehmen wieder Vertrauen. Und nur dann kann Deutschland in Europa ein guter Standort zum Produzieren von Gütern und Dienstleistungen sein und bleiben. Dazu müssen auch die umfassenden und komplizierten EU-Regulierungen des Green Deal überprüft und entschlackt werden.
Die nachfolgenden Vorschläge adressieren zunächst Punkte, bei denen in weiten Teilen der nationale Gesetzgeber in der Pflicht ist. Konkret schlägt die DIHK zehn Maßnahmen für gute Standortbedingungen in Deutschland als Teil von Europa vor:
Die Transformation gelingt nur, wenn Unternehmen ihre Prozesse zu wettbewerbsfähigen Kosten auf Strom umstellen können. Daher sollte Strom im Vergleich zu fossilen Energieträgern günstiger sein und nicht durch zusätzliche Kostenbestandteile verteuert werden.
Ein weitreichender Umstieg auf Strom ist ein erklärtes Ziel der Energiewende. Zusätzliche Steuern, Abgaben und Umlagen auf Strom sind daher kontraproduktiv. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gehören die verbleibenden Umlagen und Abgaben in den Bundeshaushalt. Die im Strompreispaket beschlossene und in der Wachstumsinitiative verstetigte Reduzierung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe sollte die Politik konsequenterweise auf alle Branchen ausweiten.
Der Anteil der Netzentgelte an den Energiekosten wächst seit Jahren – ein weiterer Anstieg ist entgegen anderslautender politischer Einschätzungen als Folge der Modernisierung und des Ausbaus der Netzinfrastruktur mehr als wahrscheinlich. Ein vergleichbarer Trend zeichnet sich darüber hinaus für die Wärme-, Wasserstoff- und CO2-Netze ab.
Angesichts des ohnehin bereits bestehenden Preisnachteils im internationalen Wettbewerb gilt es, die Netzausbaukosten durch effiziente Verfahren und mithilfe des bereits vorgesehenen Bundeszuschusses zu reduzieren. Die Durchleitung erneuerbaren Stroms aus Direktlieferverträgen sollte mittels reduzierter Netzentgelte besonders attraktiv ausgestaltet werden. Zudem darf die Bereitschaft eines Betriebs, seinen Strombezug je nach Verfügbarkeit flexibel zu gestalten, nicht zu höheren Netzentgelten führen.
Extrem lange Planungs- und Genehmigungsverfahren bremsen aus Sicht der Unternehmen Wachstum, Innovation und Veränderungsgeschwindigkeit in Deutschland. Das gilt für die schnelle Transformation zu einer klimaneutralen Industrie ebenso wie für den flächendeckenden Breitbandausbau, für die Entwicklung attraktiver Städte und Gemeinden sowie die Sanierung und den Ausbau von Straßen, Schienen und Wasserwegen. Die schleppenden Verfahren erschüttern bei Unternehmen zunehmend auch das Vertrauen in die Politik.
Am 6. November 2023 haben Bund und Länder dieses Problem im sogenannten Beschleunigungspakt aufgegriffen und zahlreiche Maßnahmen beschlossen, mit denen sie das "Deutschland-Tempo" erreichen wollen. Anfang Juni 2024 stellt der DIHK-Beschleunigungsmonitor aber fest, dass mit der Umsetzung der ersten Maßnahmen nur sehr zögerlich begonnen wird.
Durch die vielen einzelnen Beschleunigungsgesetze mit eng begrenzten Anwendungsbereichen, zum Beispiel für Windenergie, Wasserstoff oder Übertragungsnetze, entsteht zudem ein stark fragmentiertes Genehmigungsrecht. Die Investitionsvorhaben zur Transformation der Wirtschaft sind aber häufig nicht auf die Nutzung eines Energieträgers oder einer Anlagenart beschränkt. So werden viele der Verfahrensbeschleunigungen ins Leere laufen. Die Verfahrensbeschleunigungen sollten deshalb – wie im Bund-Länder-Pakt beschlossen – generell für alle Zulassungsverfahren eingeführt werden.
Erneuerbare Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland von zentraler Bedeutung. Erforderlich ist daher eine erhebliche Beschleunigung beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Gleichzeitig ist das aktuelle Förderregime im EEG mit hohen Kosten verbunden, weil erneuerbare Energien unabhängig von Nachfrage und Infrastruktur sowie ohne Rückbindung an Marktsignale zugebaut werden. Anstelle einer dauerhaften staatlich garantierten Fest- und Mindestvergütung sollten einmalig Investitionen in erneuerbare Energien belohnt werden. Daher ist eine Investitionskostenförderung einer Betriebskostenförderung vorzuziehen.
Die DIHK hat mit der StromPartnerschaft einen konkreten Vorschlag erarbeitet, um durch einen Investitionszuschuss und eine Reduzierung der Netzentgelte Investitionen in erneuerbare Energien zu beschleunigen.
Die Transformation der deutschen Wirtschaft erfordert neben verlässlichen Rahmenbedingungen und wettbewerbsfähigen Energiepreisen hohe Investitionen der Betriebe in den Umbau ihrer Prozesse und Infrastrukturen. Die Transformation gelingt nur mit privaten Investitionen, die einen Großteil der Anpassung finanzieren müssen.
Um die notwendigen Investitionen für energie- und ressourcenoptimierte Prozesse und Anlagen, die Erschließung erneuerbarer Prozesswärme oder die energetische Gebäudeoptimierung schultern zu können, bedarf es kluger Investitionsanreize. Dabei ist wichtig, dass den Unternehmen diese Mittel auch langfristig kalkulierbar zur Verfügung stehen. Insofern sind steuerliche Transformationsanreize den "klassischen" Förderprogrammen vorzuziehen. Förderprogramme sind in der Regel sehr komplex, bürokratisch und von unsicheren Mittelzuweisungen abhängig.
Unternehmen sollten Netzauskünfte und Netzanschlussbegehren überall digital und zugleich bundeseinheitlich beantragen können und binnen einer Frist von maximal acht Wochen eine Rückmeldung zu ihrem Anschlussbegehren erhalten. Ziel sollte sein, Unternehmen schnell Planungssicherheit für Investitionen zu geben.
Immer mehr Vorschriften verpflichten die Betriebe zur Installation von PV-Anlagen, zum Ausbau von Ladeinfrastruktur oder zur Installation von Wärmepumpen. Gleichzeitig lassen die vorhandenen Netzkapazitäten deren Anschluss häufig nicht zu. Insofern sollten solche Vorschriften immer auch die Kapazitäten der Netze berücksichtigen und keine undifferenzierten Ausbauverpflichtungen vorgeben. Denn das verschwendet Ressourcen und kann nicht im Sinne der Nachhaltigkeit sein.
Die Steigerung der Energieeffizienz liegt im Eigeninteresse der Unternehmen. Denn so können sie ihre betrieblichen Klimaschutzziele erreichen und durch die Vermeidung von Energiebezug Kosten sparen. Über die europäischen Standards hinausgehende Anforderungen ("Gold Plating") bei Energieaudit- und -managementsystempflichten sowie bei der Vermeidung und Wiederverwendung von betrieblicher Abwärme stehen in keinem angemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis und sollten vermieden werden.
Die Berücksichtigung relevanter betrieblicher Abwärme ist ohnehin Bestandteil der vorgeschriebenen Energieaudits beziehungsweise -managementsysteme – das sollte als Nachweis gegenüber staatlichen Stellen ausreichen. Die umfangreichen und undifferenzierten Nachweis- und Offenlegungspflichten für betriebliche Maßnahmenpläne und Abwärmepotenziale bedeuten weitere, unnötige Bürokratie und sollten abgeschafft werden, insbesondere wenn sie betriebliches Know-how oder sicherheitsrelevante Informationen betreffen.
Viele Unternehmen brauchen Wasserstoff, um ihre Transformationsziele zu erreichen – sie alle sollten daher auch die Chance haben, Wasserstoff zu beziehen. Der Großteil des in Deutschland benötigten Wasserstoffs wird über Importe gedeckt werden müssen. Statt Reisediplomatie ist deshalb vor allem eine glaubwürdige Importstrategie notwendig.
Der regulatorische Rahmen sollte so ausgestaltet werden, dass Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff zügig, in großen Mengen und zu tragbaren Kosten beschafft werden kann. Essenziell ist der mit dem Markthochlauf des Wasserstoffs verbundene Infrastrukturausbau. Ob leitungsgebundener Transport aus Lieferländern oder "H2-ready" LNG-Infrastruktur – in jedem Fall ist eine schnelle Umsetzung einer Basisinfrastruktur quer durch Europa nötig. Wo es keine Pipelines gibt, braucht es realisierbare Transportalternativen über Wasser und auf dem Land mit regionalen Versorgungsoptionen.
Beim Aufbau eines funktionierenden Wasserstoffmarktes kommt der EU eine zentrale Rolle zu. Eine gemeinsame Beschaffungsstrategie für Wasserstoff, die die Vermeidung neuer Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferregionen sicherstellt, ist sinnvoll – Leitbild ist die diversifizierte europäische Gasbeschaffung.
Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn den Unternehmen bezahlbare Technologien für CO2-Abscheidung, -Transport sowie -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) zur Verfügung stehen. Es ist unzweifelhaft, dass das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland 2045 und in der EU 2050 in vielen Bereichen nur über die Abscheidung und Speicherung beziehungsweise Nutzung von CO2 erreichbar ist. Es ist daher falsch, dass die deutsche Politik die Speicherung sektoral und regional beschränkt – auf nicht oder schwer zu dekarbonisierende Sektoren wie Zement, Kalk und Stahl und in der Regel nur auf See.
Zwei Drittel der EU-Staaten erlauben die CO2-Speicherung auf ihrem Gebiet. Die EU-Kommission plant bereits Maßnahmen für den grenzübergreifenden Pipeline-Transport und für den Netzzugang. Die deutsche Politik sollte sich diesem Vorgehen anschließen und eine Perspektive für die CO2-Nutzung in Deutschland geben, statt enge Grenzen zu setzen. Außerdem fehlt es bislang an einem Konzept für die Finanzierung eines CO2-Netzes.
Eine sichere und effiziente Versorgung mit Energie lässt sich im europäischen Verbund besser bewerkstelligen als im nationalen Alleingang. Dennoch funktioniert ein wettbewerblich geprägter Energiebinnenmarkt, trotz mancher Fortschritte, erst in Ansätzen. Der Energiebinnenmarkt sollte gestärkt werden, indem beim Umbau der Energiesysteme marktnahe Lösungen gemeinsam verfolgt werden und europäische Netze sowie Grenzkuppelstellen (Interkonnektoren) rasch und konsequent ausgebaut werden.
Der schleppende grenzüberschreitende Netzausbau aufgrund eines Strebens nach nationaler Energieautarkie, zum Beispiel bei Wasserstoffpipelines, behindert den effizienten und kostengünstigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage.