Der 6. Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung zeigt die demographischen Herausforderungen für die öffentlichen Haushalte, denn selbst unter günstigen Bedingungen werden die alterungsbedingten öffentlichen Ausgaben in den kommenden Jahrzehnten auf über 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen.
Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zukünftig noch stärker vom demographischen Wandel geprägt
Trotz günstigerer Bevölkerungsprognose steigen die alterungsbedingten Ausgaben deutlichDas Bundesministerium der Finanzen (BMF) hatte im Herbst 2023 seine aktualisierte finanzpolitische Strategie mit dem Titel „Finanzpolitik in der Zeitenwende“ vorgestellt. Diese Strategie zielt darauf ab, die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen und eine effiziente und vorausschauende Finanzpolitik zu gestalten. Sie stützt sich auf drei Säulen:
- Kurzfristige Stabilisierung in Krisen: Die Strategie beinhaltet Maßnahmen zur Bewältigung von wirtschaftlichen Krisen.
- Angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik: Hierbei geht es darum, die Wirtschaft durch gezielte Maßnahmen zu unterstützen.
- Erhaltung der fiskalischen Resilienz und finanzpolitischen Solidität: Das BMF strebt eine nachhaltige Haushaltspolitik an.
Sechster Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung knüpft an finanzpolitische Strategie an
Der Bericht beleuchtet die Herausforderungen, die sich aus dem demografischen Wandel für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ergeben werden. Insbesondere stehen wissenschaftlich fundierte Projektionen der demografieabhängigen Ausgaben im Fokus. Diese betreffen die Bereiche Alterssicherung, Gesundheit und Pflege, Arbeitslosigkeit sowie Bildung und Familie und erstrecken sich bis zum Jahr 2070.
Trotz einer günstigeren demografischen Ausgangslage im Vergleich zum 5. Tragfähigkeitsbericht wird die Bevölkerung in Deutschland weiterhin altern. Die hohe Nettozuwanderung der vergangenen Jahre hat zwar die jüngeren Jahrgänge gestärkt, dennoch wird bereits in den 2020er-Jahren ein Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter mit einem Anstieg der Bevölkerung im Ruhestand einhergehen.
Die Projektionen der Ausgabenentwicklung zeigt, dass vor allem die alterungsbedingten öffentlichen Ausgaben im folgenden Jahrzehnt zu Herausforderungen führen können. Laut den Projektionen könnten diese Ausgaben im nächsten Jahrzehnt deutlich ansteigen und bis zum Jahr 2070 kontinuierlich weiterwachsen. Unter ungünstigen Bedingungen würden die alterungsbedingten Ausgaben von 27,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2022 auf 36,1 Prozent im Jahr 2070 steigen. Hingegen könnten sie unter günstigen Bedingungen bis 2070 bei 30,8 Prozent des BIP liegen.
Schuldenstandsquote könnte deutlich steigen
Die demografische Alterung führt zu steigenden Ausgabequoten, die die gesamtstaatlichen Primärsalden (Haushaltsüberschüsse beziehungsweise -defizite vor Berücksichtigung der Zinsverpflichtungen) kontinuierlich verschlechtern. Zusammen mit den Zinszahlungen auf den aufgelaufenen Schuldenstand ergibt sich eine Erhöhung der gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizite, die aufgrund von Zinseszins-Effekten die Schuldenstandsquote langfristig weiter erhöhen würden.
In einem ungünstigen Szenario könnte die Schuldenstandsquote bis 2070 auf rund 365 Prozent des BIP ansteigen. Im günstigen Szenario wäre sie immerhin noch bei etwa 140 Prozent des BIP im Jahr 2070. Diese Projektionen verdeutlichen, wie stark die demografische Alterung die Schuldenstandsquote beeinflussen wird, wenn man von den Regelungen zur Beitragssatzanpassung in den Sozialversicherungen und der grundgesetzlichen Schuldenbremse abstrahiert.
Fiskalischer Handlungsbedarf ist hoch
Im Vergleich zum 5. Tragfähigkeitsbericht aus dem Jahr 2020 hat sich die fiskalische Tragfähigkeit substanziell verschlechtert. Bei einer langfristigen Betrachtung liegt der fiskalische Handlungsbedarf zur Wahrung der Tragfähigkeit zwischen 2,7 Prozent des BIP unter eher günstigen Annahmen und 6,9 Prozent unter eher ungünstigen Annahmen. Wenn die Schuldenstandsquote bis zum Jahr 2070 auf 60 Prozent begrenzt werden soll, verbleibt ein jährlicher Handlungsbedarf von 1,6 Prozent des BIP unter eher günstigen Annahmen und 4,7 Prozent des BIP unter eher ungünstigen Annahmen.
Konzentration auf den Bund
Die Tragfähigkeitsrisiken konzentrieren sich vor allem auf die Bundesebene. Die Finanzen der Länder und Gemeinden sind insgesamt weniger stark von der demografischen Alterung betroffen, weisen jedoch eine erhebliche Heterogenität hinsichtlich ihrer Schuldenstände und Finanzierungssalden auf.
Die Verschlechterung im Vergleich zum letzten Bericht im Jahr 2020 ist auch auf wirtschaftliche Eintrübungen infolge der Corona-Pandemie 2020/21, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und der folgenden Energiepreiskrise zurückzuführen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Langfristprojektionen des gesamtstaatlichen Primärsaldos und des Schuldenstands aus.
Die ausgewiesenen Lücken in der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen führen als Projektionen nicht zu unmittelbaren Maßnahmen. Die Bundesregierung stellt in ihrem Bericht fest, dass es in allen relevanten Politikbereichen einer ausgewogenen Mischung aus Strukturreformen sowie weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Maßnahmen bedarf, um die langfristige Tragfähigkeit zu sichern.