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Stabilitätsrat: Öffentliche Finanzen stehen vor großen Herausforderungen

Defizit liegt bis 2028 oberhalb des bisher nach den EU-Regeln zulässigen Wertes
Öffentliche Haushalte

© XTockImages / iStock / Getty Images Plus

Das strukturelle, das heißt um konjunkturelle und bestimmte Einmaleffekte bereinigte, gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit liegt nach den Projektionen des Stabilitätsrates in diesem Jahr bei 1,25 Prozent, zum Ende des Projektionszeitraumes dann bei rund einem Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Die bis zum 30. April 2024 gültige Defizitobergrenze des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die ein maximales strukturelles Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erlaubte, würde damit nicht erreicht werden.

Nach seinen Beratungen am 6. Mai 2024 stellte der Stabilitätsrat fest, dass die öffentlichen Haushalte weiter vor großen Herausforderungen stehen. Dazu gehören insbesondere die notwendige finanzpolitische Normalisierung nach den Krisen, der Aufbau fiskalischer Puffer für zukünftige Krisen, die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit, die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sowie die Dekarbonisierung – bei gleichzeitiger Rückführung der Schuldenstandsquote.

Nach Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes: Neue Zielmarken für Deutschland noch nicht bekannt

Mit der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die am 30. April 2024 in Kraft getreten ist, ist allerdings die Defizitobergrenze des Fiskalvertrages (strukturelles Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts) nicht mehr Gegenstand der europäischen Haushaltsüberwachung. Künftig sollen für die Mitgliedstaaten in der Regel für einen Zeitraum von 4 Jahren länderspezifische Nettoausgabenpfade festgelegt werden. Noch hat dieser Prozess allerdings nicht begonnen. Der Stabilitätsrat empfiehlt daher Bund und Ländern – im Hinblick auf die in der Projektion festgestellte Überschreitung der Defizitvorgaben und die Vorgaben des neuen Stabilitäts- und Wachstumspaktes – eine „umsichtige auf Schuldentragfähigkeit und Wachstum gerichtete mittelfristige Haushaltsstrategie konsequent zu verfolgen, die den Raum für die nötigen Investitionen lässt und mit Reformen kombiniert wird, die einem nachhaltig höheren Wachstum förderlich sind.“

Beirat: Fiskalprojektion der Bundesregierung ist veraltet und intransparent

Im Gegensatz zum Stabilitätsrat sieht sein wissenschaftlicher Beirat den haushaltspolitischen Handlungsbedarf deutlich kritischer. Im EU-Vergleich werden von ihm die Staatsfinanzen auf mittlere Sicht als solide eingeschätzt. Aus Sicht des Beirats erscheint es möglich, wenn auch nicht sicher, dass die in der Projektion in Aussicht gestellten strukturellen Defizite und Ausgabenpfade kompatibel mit den neuen Vorgaben der europäischen Haushaltsüberwachung sind.

Der Beirat übt vor allem an der vorgelegten Fiskalprojektion der Bundesregierung erhebliche Kritik. Sie basiere teils auf überholten Annahmen und sei intransparent. So fußt die Projektion für den Kernhaushalt des Bundes ab dem Jahr 2025 noch auf der Finanzplanung vom Sommer 2023. Dies bedeutet konkret, dass in der Projektion unterstellt wird, dass die strukturelle Nettokreditaufnahme (NKA) in jedem Jahr die Schuldenbremse exakt einhält. Ausgabenrahmen und Einnahmeprognosen wurden nicht systematisch aktualisiert und für den Beirat ist deshalb nicht ersichtlich, durch welche konkreten Maßnahmen die Vorgaben der Schuldenbremse eingehalten werden sollen. Es fehle außerdem an validen Angaben zu den Extrahaushalten. Bei den Sozialversicherungen seien im Projektionszeitraum teilweise erhebliche Defizite eingestellt, die eigentlich über Beitragsanhebungen ausgeglichen werden müssten. Dennoch enthalte die Schätzung für die Soziale Pflegeversicherung keine Beitragssatzanstiege und sei insofern aus Sicht des Beirats nicht plausibel. Das gleiche gelte für die geplante Rentenreform: die Projektion beziehe zwar das geplante Generationenkapital ein, die ebenfalls geplante Verlängerung der Haltelinie für das Versorgungsniveau jedoch nicht.

Ausgaben unter-, Einnahmen überschätzt?

Für den Kernhaushalt des Bundes bemängelt der Beirat, dass die Projektion für 2024 auf Sollwerten, auf der Planung vom Sommer letzten Jahres bis 2027 und einer sehr stark vereinfachten Fortschreibung für 2028 beruhe. Diese unterstellt für das Jahr 2028 einen Ausgabenzuwachs von nur einem Prozent bei einem weit stärkeren Einnahmenzuwachs. Die strukturelle Nettokreditaufnahme geht danach zwar in 2028 um gut 10 Milliarden Euro zurück, um die Schuldenbremsen-Grenze weiterhin einzuhalten. Das korrespondiert mit der ab diesem Jahr einsetzenden Tilgung der Corona-Notlagenkredite von fast 9,8 Milliarden Euro, was die zulässige Nettokreditaufnahme gemäß Schuldenbremse entsprechend verringert. Aber auch hier fehlen anstehende Belastungen, denn zusätzliche Zuführungen an die EU, im Zusammenhang mit Tilgungsleistungen für die Corona-Wiederaufbaukredite, fallen auch ab 2028 an.

Eher kurzfristig sind ebenso die Angaben zu den fiskalisch bedeutsamen Extrahaushalten des Bundes wie dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) und dem Bundeswehr-Sondervermögen (BWS). So würden in der Projektion unter anderem keine Annahmen zu Erlösen aus Versteigerungen von CO2-Zertifikaten und dem Subventionsbedarf im Zusammenhang mit der Finanzierung der EEG-Umlage aus dem KTF gemacht. Für das BWS scheinen bis einschließlich dem Jahr 2027 hohe Defizite veranschlagt zu sein.

Auch die Projektion zu den Länder- und Gemeindefinanzen wirft aus Sicht des Beirates Fragen auf. Für die Gemeinden würde ab 2025 mit einem sinkenden Defizit und einem deutlich unterdurchschnittlichen jährlichen Wachstum der Ausgaben für soziale Leistungen sowie bei den Personalausgaben gerechnet. Angesichts zum Teil zweistelliger Steigerungen bei den monetären Sozialausgaben der Gemeinden allein in 2023 erklären sich diese Annahmen aber nicht.

Kontakt

Portätbild Kathrin Andrae
Dr. Kathrin Andrae Referatsleiterin Öffentliche Finanzen