Neben seinen Aufgaben als Präsident des Landgerichts Osnabrück hat Thomas Veen in seiner Kammer am Landgericht vor allem mit Mietsachen und Insolvenzen zu tun. In beiden Rechtsgebieten sind Sachverständige und ihr Know-how oft unabdingbar, sagt der Jurist. Und zwar nicht nur als Gutachter, sondern zunehmend auch als Berater des Gerichts.
Großer Beitrag zur Prozessqualität und zur Straffung des Verfahrens
Interview: Landgerichtspräsident Dr. Thomas Veen schätzt die Expertise öffentlich-rechtlich bestellter und vereidigter SachverständigerBei Mietsachen haben wir in der Kammer natürlich besonders oft mit Bausachverständigen zu tun: Es geht darum, Mängel festzustellen: etwa, ob Schimmelbefall bauliche oder wohnbedingte Ursachen hat oder ob bei Wassereinbruch ein wasserführendes Rohr falsch eingebaut wurde. Wir haben hier die gesamte Bandbreite des Bausachverständigen.
Bei den Insolvenzsachen geht um wirtschaftsrechtliche Fragestellungen: Man beurteilt rückblickend, wie ein in die Insolvenz geratenes Unternehmen gewirtschaftet hat, wie die wirtschaftliche Situation zu einer bestimmten Situation war. Denn nur mit dieser Kenntnis kann man beurteilen, wer sich gegebenenfalls fehlerhaft verhalten hat.
Daneben bin ich aber als Präsident auch Leiter des Gerichts. Deshalb wenden sich auch Sachverständige aus anderen Gebieten an mich, weil sie über mich bei den Richterkolleginnen und -kollegen bekannt gemacht werden wollen. Die Bandbreite ist enorm – von Verkehrssachverständigen über medizinische Sachverständige bis hin zu Sachverständigen, die den Wert einer fachgerechten Leistung begutachten. Bei Handelssachen geht es nicht so sehr um die wirtschaftsrechtlichen, sondern um die wirtschaftstatsächlichen Fragen.
Ist Ihnen ein Fall besonders in Erinnerung, in dem es um hohe Summen ging und in dem ein Sachverständiger unabdingbar war?
In einer erbrechtlichen Konstellation habe ich einmal eine Mediation durchgeführt, die ohne Sachverständigen nicht zu entscheiden gewesen wäre: Zwei Brüder stritten sich um die Nachfolge in einem Unternehmen, das der Vater hinterlassen hatte. Es ging um die Frage, welchen Wert bestimmte Unternehmensteile zum Zeitpunkt des Erbfalls hatten. Der eine Bruder war in einem Unternehmensteil tätig, der nicht so viel Gewinn erwirtschaftete, der andere in einem Unternehmensteil, der gewinnträchtiger war. Es ging insoweit um Ausgleichszahlungen im Millionenbereich.
Da war die Aufgabe des Sachverständigen von großer Relevanz, um die Wertdifferenz der beiden Unternehmensteile zu ermitteln. Man kann sich schließlich nicht einigen, wenn man in den blauen Dunst argumentiert. Man braucht Fakten, die der Sachverständige in diesem Fall liefern konnte.
Sachverständige begutachten Sachverhalte, sind also in der Beweisaufnahme relevant. Welche Aufgaben haben sie noch?
Die Aufgabe bei der Beweisaufnahme ist sehr wichtig, denn das Gericht hat juristischen Sachverstand und muss bei vielen anderen Fragen – zum Beispiel bei Bausachen – einen Sachverständigen zu Hilfe nehmen. Aber Sachverständige haben nach § 144 Zivilprozessordnung auch eine zweite Aufgabe: Sie können als Berater des Gerichts tätig werden. Sie können sehr früh in das Prozessgeschehen einbezogen werden und dem Gericht helfen, den Sachverhalt zu verstehen.
Dieser Aspekt sollte mit der Novelle der Zivilprozessordnung aus dem Jahre 2019 betont werden. Die frühe Hinzuziehung des Sachverständigen hat nämlich eine sehr positive Wirkung auf den Prozessverlauf. Zum einen versteht das Gericht den Prozess- und Streitstoff besser, wenn er durch einen Sachverständigen erläutert wird. Zum anderen ist aber auch zuverlässiger gewährleistet, dass das Gericht seine Beweisfragen sachgerecht und ausreichend konkret formulieren kann. Das trägt sehr zur Qualität des Prozesses und zur Straffung des Verfahrens bei.
Warum sind öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige so wichtig für die Rechtsprechung?
Als öffentlich-rechtlich bestellter und vereidigter Sachverständiger haben sie eine höhere Chance, für ein Verfahren ausgewählt zu werden. Denn mit der öffentlichen Bestellung haben sie die Vermutung der Sachkunde auf ihrer Seite. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige nehme ich im Zweifel auch, wenn ich sie nicht unmittelbar kenne, weil ich von ihrer Sachkunde ausgehen kann. Der Pool der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sollte also groß sein, damit die Qualität der Prozesse gewahrt bleibt.
Was war der vielleicht ungewöhnlichste Fall mit einem Sachverständigen, der Ihnen untergekommen ist?In einem Fall wurde ein Hund als Jagdhund verkauft. Allerdings stellte sich dann heraus, dass der Hund sich gegenüber anderen Tieren eher unterwürfig gezeigt hatte, sich also bildlich auf den Rücken geworfen und ergeben hat. Der Käufer wollte deshalb den Kaufvertrag rückgängig machen, weil der als Jagdhund gekaufte Hund einen Mangel hatte, weil ihm – so behauptete der Käufer – der für einen Jagdhund erforderliche Jagdtrieb genetisch bedingt fehlte.
Aufgabe des Sachverständigen war es dann im Rahmen der Beweisaufnahme, herauszufinden, ob der Hund tatsächlich einen Mangel im Sinne eines genetischen Defekts (fehlender Jagdtrieb) hatte. Der Streitwert war beachtlich, weil nicht nur der Kaufpreis, sondern auch ein Pflegesatz pro Tag geltend gemacht wurde. Hinzu kam, dass auch die Sachverständigenkosten enorm waren, weil der Sachverständige den Hund einige Zeit bei sich auf dem Hof beobachten musste und auch aus Süddeutschland hier nach Osnabrück reisen musste, um sein Gutachten zu erstatten. Für dieses Gutachten brauchte er dann aber nicht viel Zeit, denn er konnte berichten, dass die Unterwürfigkeit des Hundes schon nach ein paar Tagen und artgerechter Erziehung bei ihm auf dem Hof verschwunden sei. Der Hund sei zu friedfertig gehalten worden!
Für den Käufer ein unglückliches Ergebnis, den Prozess hat er mit allen Kosten verloren. Aber immerhin hatte er jetzt einen wirklichen Jagdhund! Bei allem Augenzwinkern ist dieser Fall für mich aber auch ein Beispiel dafür, wie wir die Einbindung des Sachverständigen in den Prozess noch ökonomischer gestalten könnten. Heute würden wir den Sachverständigen wahrscheinlich gar nicht mehr nach Osnabrück laden, sondern ihn vielmehr per Video in die Verhandlung zuschalten. Das Gesetz gibt uns diese Möglichkeit, und die Corona-Pandemie hat auch uns in der Justiz gezeigt, dass gerade die Einbindung von Sachverständigen in das Prozessgeschehen gut virtuell erfolgen kann.
Zur Person |
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Dr. Thomas Veen ist seit 1997 in der niedersächsischen Justiz tätig. 2012 wurde er zum Präsidenten des Amtsgerichts Osnabrück ernannt, 2017 zum Präsidenten des Landgerichts Osnabrück. In seiner Kammer am Landgericht befasst sich Veen vor allem mit Mietsachen und Insolvenzen. |