20 Jahre nach dem EU-Beitritt vieler osteuropäischer Staaten beleuchtet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in einer Sonderauswertung des "AHK World Business Outlook" von Frühjahr 2024, wie deutsche Betriebe ihre Geschäfte in diesen EU-Staaten bewerten.
Osteuropäische EU-Staaten wieder hoffnungsvoller
Sonderauswertung offenbart aber auch HerausforderungenAm 1. Mai 2004 traten die zehn Länder Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Polen, Tschechien, Ungarn, Zypern* und Malta* der Europäischen Union bei (*keine Umfrageergebnisse für diese Länder). In den Jahren danach folgten Bulgarien und Rumänien sowie Kroatien.
Der wirtschaftliche Erfolg des EU-Beitritts zeigt sich nicht zuletzt in dem enorm gewachsenen bilateralen Handelsvolumen zwischen Deutschland und den Beitrittsstaaten. Insbesondere die Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn sind in den letzten 20 Jahren zu bedeutenden Handelspartnern avanciert. Mit 492 Milliarden Euro ist das Handelsvolumen in der Region beinahe doppelt so groß wie mit Deutschlands wichtigstem Handelspartner China (zuletzt 254 Milliarden Euro).
Viele deutsche Unternehmen pflegen enge Wirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern. Grund genug, die aktuelle Stimmung bei den Unternehmen an ihren osteuropäischen Standorten zu betrachten.
Überwiegend kein kräftiger Aufschwung in Sicht
Insgesamt gilt: Die Unternehmen blicken wieder hoffnungsvoller auf die Wirtschaftsentwicklung an ihren osteuropäischen Standorten. Sie gehen aber überwiegend noch nicht von einem kräftigen Aufschwung aus. Das zeigt der AHK World Business Outlook von Frühjahr 2024, in den über 1.100 Unternehmensantworten aus Mittel- und Osteuropa eingeflossen sind.
Demnach erwartet ein Viertel der Betriebe (24 Prozent, Frühjahr 2023: 20 Prozent) in der Region, dass sich die Wirtschaft im laufenden Jahr verbessert; noch knapp ein Drittel (32 Prozent, Frühjahr 2023: 41 Prozent) rechnet mit einer Abkühlung der Konjunktur an ihren Standorten. Unter dem Strich bleiben die Unternehmen damit wie in den Vorjahren pessimistischer als im globalen Durchschnitt. Hier macht sich die geografische Nähe zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bemerkbar.
Auch die lediglich moderat wachsende Weltwirtschaft, aber insbesondere die wirtschaftliche Schwäche in den restlichen EU-Staaten wie Deutschland, ist bei den MOE-Ländern besonders spürbar. So hat das Risiko einer geringen Nachfrage im Vergleich zum Vorjahr am stärksten an Bedeutung gewonnen (52 nach 43 Prozent). Neben dem konjunkturellen Einfluss der Außenwirtschaft, dem die Länder durch ihren hohen Offenheitsgrad besonders ausgesetzt sind, bleiben der Fachkräftemangel (50 nach 53 Prozent) und hohe Arbeitskosten (gleichbleibend 55 Prozent) zentrale Herausforderungen.
Die Investitionsabsichten der Unternehmen in den Ländern, die in den letzten 20 Jahren der EU beigetreten sind, zeigen sich durchwachsen. Zwar wollen die Betriebe ihre Investitionen in den kommenden Monaten unter dem Strich ausweiten, sie zeigen sich aber weniger expansiv als noch vor einem Jahr und liegen unterhalb des weltweiten Schnitts.
Polen sticht positiv heraus
In Polen hat sich die Investitionstätigkeit gegenüber dem Vorjahr hingegen deutlich verbessert. Hier möchten 31 Prozent der Unternehmen ihre Investitionen ausweiten (Frühjahr 2023: 26 Prozent), 15 Prozent planen eine Verringerung (Frühjahr 2023: 25 Prozent).
"Die Ergebnisse belegen die hohen Erwartungen, die viele Investoren in die neue polnische Regierung setzen", sagt Lars Gutheil, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen).
"Für die kommenden Jahre stehen EU-Zahlungen in Höhe von mehr als 130 Milliarden Euro im Raum, die bislang von der Kommission zurückgehalten wurden", berichtet Gutheil. Bis April seien bereits 6,3 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm ausgezahlt worden. "Das sind gute Neuigkeiten für Unternehmen, da die Mittel in zahlreiche strategische Bereiche fließen, etwa in die Energiewende, die digitale Transformation und die Infrastruktur." Dies wirke sich auch auf die Zufriedenheit der deutschen Investoren aus, so Gutheil. "Über 98 Prozent geben an, sie würden wieder in Polen investieren – ein absoluter Spitzenwert."
Ökonomisch eine klare Erfolgsgeschichte
Die Umfragedaten, aber auch die Erfahrungen der AHKs zeigen, dass die Länder in Mittelosteuropa (MOE) trotz konjunktureller und struktureller Herausforderungen als Investitionsstandorte beliebt bleiben. Bei den in der MOE-Konjunkturumfrage erhobenen Faktoren, die die Marktattraktivität der Länder positiv beeinflussen, wird besonders der EU-Mitgliedschaft eine gute Note verliehen.
"Die EU-Erweiterung ist eine ökonomisch klare Erfolgsgeschichte", so das Fazit von DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Anders als viele gemutmaßt hatten, sind sowohl in der 'alten' EU als auch in den Beitrittsländern eine Vielzahl von Jobs entstanden." Auch seien die Volkswirtschaften der EU durch die zahlreichen Beschaffungs- aber auch Absatzmöglichkeiten "in erheblichem Maße resilienter geworden".