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Zentralasien – "besonders spannend" für die deutsche Wirtschaft

Interview mit DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier
Volker Treier sitzend gestikulierend 2022

DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier

© DIHK / Werner Schuering

Nicht zuletzt der russische Angriff auf die Ukraine und die damit zusätzlich befeuerte Polarisierung in der Welt stellen die deutsche Wirtschaft vor neue Herausforderungen. Es gilt, die Lieferketten zu prüfen, krisenbeständiger zu machen und dabei übergroße Abhängigkeiten von Märkten und Lieferanten abzubauen. Dabei rückt die wachstumsstarke zentralasiatische Region als vielversprechender Standort in wichtigen Feldern stärker in den Vordergrund.

Treier und Klinner in Usbekistan

Volker Treier (M.) in Usbekistan mit dem deutschen Botschafter Tilo Klinner (l.) und Hovsep Voskanyan (r.) von der AHK vor Ort

© Aziz Kamilov

Mitte September war Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer, in Begleitung von hochrangigen Wirtschaftsvertretern nach Zentralasien gereist (siehe auch ). Seine Eindrücke von der Region und seine Einschätzung der Zukunftsmärkte Kasachstan und Usbekistan schildert er im Interview:

Herr Treier, Sie waren gerade mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation in Kasachstan und Usbekistan. Was ist der Hintergrund: die Suche nach neuen Märkten, nach Rohstofflieferanten, nach Liefer- und Produktionsstandorten?

Es ist eine Mischung aus allem. Für uns heißt die große Überschrift Diversifizierung. Das gilt für Bezugsquellen, Absatzmärkte, Transportwege und Produktionsstandorte. Nimmt man all diese vier Bereiche, dann ist Zentralasien gemessen an anderen Regionen besonders spannend. Das hat nicht nur, aber auch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und all seinen Folgen zu tun. So suchen beispielsweise viele deutsche Unternehmen, die lange von Russland aus agiert haben und die Region nicht verlassen wollen, nach neuen Standorten. Da bietet sich Zentralasien an.

Haben die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik Zentralasien zu lange links liegen lassen?

Definitiv ist das so. Dafür gibt es Gründe. Solange man auf den Märkten, auf denen man schon unterwegs ist, gute Geschäfte macht und vollauf beschäftigt ist, schenkt man womöglich dem einen oder anderen Faktor nicht die Aufmerksamkeit, der er verdient. Dabei verliert man leicht den Gesichtspunkt aus den Augen, nicht zu sehr abhängig zu werden von einzelnen Märkten und sich gegen in der Zukunft liegende Risiken abzusichern. Das gilt zumal dann, wenn man auf den angestammten Märkten gut zu tun hat. Aber die Welt hat sich geopolitisch verändert. Damit rückt die Region Zentralasien seit einiger Zeit stark in den Fokus. Hinzu kommt, dass die Länder der Region einiges tun, um sich als attraktive Partner anzubieten.

Welche Unterstützung erhält die deutsche Wirtschaft auf dem Weg in diese Märkte durch die Politik, die Regierung?

Im letzten Jahr war Bundesaußenministerin Annalena Baerbock dort, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Monaten. An diesem Freitag (29. September) steht ein Treffen der zentralasiatischen Präsidenten in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz an. Das Wirtschaftsministerium ist gleichfalls sehr aktiv. Es sind also wichtige Signale, welche die Politik sendet.

Es gibt jedoch einen Wermutstropfen. Es steht der Vorwurf im Raum, dass deutsche Firmen über Geschäfte mit zentralasiatischen Staaten die EU-Sanktionen gegen Russland umgangen haben. Diese Debatte hat zu Reibungsverlusten geführt, die den Ausbau der Zusammenarbeit mit der Region zeitweise beeinträchtigten. Inzwischen hat man mit Vorschlägen und Verfahrensregeln nachjustiert, so dass das Problem etwas entschärft wurde.

Wie stark ist die Region in ihrem Handel noch mit Russland als Partner "besetzt" und von der chinesischen Konkurrenz erschlossen?

Zentralasiatische Länder, wie Kasachstan und Usbekistan, sprechen von einem multivektoriellen Ansatz, den sie mittlerweile verfolgen. Dahinter steckt, dass geografisch und historisch die Beziehungen zu Russland quasi naturgegeben sehr eng sind und wohl auch bleiben werden. Geografisch liegt es darüber hinaus nahe, dass die wirtschaftlichen Verbindungen zur Weltwirtschaftsmacht China immer enger geworden sind.

Der neue Ansatz beinhaltet nun auch das Angebot an uns, an die Europäer, mit ihnen stärker zusammenzuarbeiten. Offenbar will man sich in einer Welt, in der sich die Gewichte verschieben, nicht zu sehr auf die bisherigen Hauptpartner verlassen, die zudem durchaus widerstreitende Interessen verfolgen. Die Länder wollen daher eine Brücke nach Europa schlagen. Das heißt ganz konkret Infrastruktur, heißt Transportwege, um einen Korridor nach Europa zu schaffen.

Was macht Kasachstan so interessant für deutsche Unternehmen? Was bietet das Land? 

Kasachstan hat neben fossilen Energien wie Öl, Gas und Kohle große Möglichkeiten im Auf- und Ausbau erneuerbarer Energien. Das Land verfügt zudem über kritische Mineralien, Metalle wie Nicht-Metalle, ist also enorm reich an Rohstoffen. Hinzu kommt jetzt, dass man immer stärker daran interessiert ist, diese Rohstoffe auch im eigenen Land zu verarbeiten, womöglich bis hin zu Endprodukten. Das bietet eine hervorragende Basis für uns als Partner und macht es interessant, gerade in Hinblick auf positive Klimaeffekte, Vorprodukte aus Kasachstan in unsere Wertschöpfungsketten einzubeziehen.

Man kann zusammenfassend sagen: Neben Öl und Gas bietet Kasachstan Raum und Platz, hat Sonne und Wind zur Produktion erneuerbarer Energie, dazu kritische Rohstoffe für unsere Energie- und Mobilitätswende zu Hause. Was derzeit noch fehlt, sind logistische Wege. Hier gibt es noch viele Möglichkeiten für deutsche Logistiker und Bauunternehmen, sich intensiv mit einzubringen.

Wie sieht es mit Usbekistan aus?

Der Rohstoffreichtum ist hier um einiges geringer, auch wenn es zum Beispiel nennenswerte Kupfervorkommen gibt. Das Land ist mit seiner Binnenlage ohne Meerzugang mit vielen Nachbarn besonders von Transportwegen nach außen abhängig. Auf der anderen Seite ist Usbekistan ziemlich bevölkerungsreich, und die Zahlen wachsen sehr schnell. Damit gibt es eine Basis für arbeitsintensive Prozesse. Auch sind wir in Diskussionen über die Frage, ob der Fachkräftemangel in Deutschland an der einen oder anderen Stelle durch Arbeitskräfte aus Usbekistan abgemildert werden kann. Erste Erfahrungen sind ermutigend. Insgesamt handelt es sich um ein aufstrebendes Land mit einer jungen, sehr leistungsbereiten Bevölkerung, das die Hand nach neuen Partnern ausstreckt. Dabei ist Usbekistan mit seiner opulenten Natur und vielen kulturellen Schätzen auch ein hochinteressantes Land für den Tourismus.

Wie sieht es mit der politischen Stabilität in den beiden Ländern aus?

Das ist ein wichtiger Faktor, den man im Blick behalten muss. Wir sollten diesen Ländern die Chance geben, ihre Gesellschaften aufzubauen und weiterzuentwickeln, so dass sie mehr Stabilität gewinnen. Der Ausbau unseres Handels mit ihnen kann dabei helfen. Ich warne aber davor, ihnen oberlehrerhafte Vorgaben zu machen. Wir können und sollten sie nicht heute schon an den demokratischen Standards messen, die wir hier in Europa bereits erreicht haben.

Wie groß ist Ihr Vertrauen, dass die eingeleiteten Reformprozesse in Kasachstan und Usbekistan konsequent fortgeführt werden?

Das Vertrauen ist hoch. Wie haben von beiden Regierungen verbindliche Schritte zur Marktöffnung und Rechtssicherheit gesehen. Die Stimmen der deutschen Unternehmen vor Ort zeigen auch, dass den Worten Taten folgen. Natürlich gibt es ab und an schon mal Kommunikationsprobleme, doch werden die in der Regel schnell ausgeräumt. Es ist sicher nicht alles Gold was glänzt. In Usbekistan beispielsweise ist der Privatisierungsprozess von Staatsunternehmen noch eher am Anfang. Die Richtung aber stimmt – das ist entscheidend. 

Kontakt

Börner, Thomas_quer
Thomas Börner Referatsleiter Lieferkettendiversifizierung
Astana Kasachstan bei Nacht

Kasachstan – weit mehr als Öl und Gas

Kasachstan ist nicht ohne Grund der wichtigste deutsche Wirtschaftspartner in Zentralasien. Im Mittelpunkt der Handelsbeziehungen stehen die reichen Vorkommen an Energie- und anderen Rohstoffen, doch die einstige Sowjetrepublik ist auch ein interessanter Absatzmarkt vor allem für deutsche Maschinen, chemische Erzeugnisse und Fahrzeuge. Hier finden Sie mehr Informationen zur kasachischen Wirtschaft und ihrer Bedeutung für Deutschland.

Samarkand Usbekistan

Usbekistan – reiche Kultur, viel Manpower und Lust auf Zukunft

Usbekistan bietet für die deutsche Wirtschaft insbesondere mit Blick auf Arbeits- und Fachkräftemigration enorme Potenziale. Auch die bilateralen Handelsbeziehungen sollen möglichst bald der wirtschafts- wie sicherheitspolitischen Schlüsselrolle gerecht werden, die Usbekistan in Zentralasien spielt. Hier gibt es Details zu dem reformfreudigen Zukunftsmarkt.