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Arbeitsmarktintegration: "Alle müssen an einem Strang ziehen"

BA-Vorstand Terzenbach stellt den "Job-Turbo" für Geflüchtete vor
Daniel Terzenbach, Mitglied des BA-Vorstandes und Sonderbeauftragter der Bundesregierung

Will Informationsangebote für Unternehmen ausbauen: BA-Vorstand Daniel Terzenbach

© Bundesagentur für Arbeit

Mit ihrem Integrationsmodell "Job-Turbo" möchten die Bundesagentur für Arbeit (BA) und das Bundesarbeitsministerium (BAMS) erreichen, dass Geflüchtete nach einem Integrationskurs möglichst rasch Arbeitserfahrung sammeln und zügig zu Fachkräften weiterqualifiziert werden können. Daniel Terzenbach, BA-Vorstand Regionen und Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, erläutert im Interview Details.

Herr Terzenbach, im November 2023 haben Sie den Job-Turbo gestartet. Wie wollen Sie es schaffen, Geflüchtete schneller in Arbeit zu bringen?

Seit der starken Zuwanderung von Asylsuchenden in den Jahren 2015 und 2016 haben wir viel gelernt und stehen heute vor einer ganz anderen Ausgangslage. Während es damals keine berufsbegleitende Sprachförderung gab, haben wir heute Kurse, in denen Geflüchtete neben dem Beruf weiter Deutsch lernen können. Da die deutsche Sprache hierzulande eine große Rolle im Berufsalltag spielt, ermöglichen wir so eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt, was wiederum die soziale Integration erleichtert. Durch eine enge Betreuung und gezielte Vermittlung durch die Jobcenter in passende Arbeitsverhältnisse wollen wir Geflüchtete unmittelbar nach dem Integrationskurs in Arbeit bringen und sie bei einer berufsbegleitenden Weiterqualifizierung unterstützen. Dazu arbeiten wir jetzt auch enger mit Migrantenverbänden und Interessenvertretungen von Geflüchteten zusammen. Und wir wollen in den sozialen Medien aktiver werden, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten und Ängste abzubauen. Durch die Erfahrungen der letzten Jahre wissen wir nun außerdem besser, was Unternehmen brauchen, die Geflüchtete beschäftigen wollen.

Was wäre das?

Vor allem Unterstützung bei der Bewältigung der damit verbundenen Bürokratie und der Klärung rechtlicher Fragen, aber auch Hilfe beim sensiblen Umgang mit Menschen, die eine Fluchtgeschichte haben. Und sie brauchen Flexibilität, um auf die individuellen Bedürfnisse der Geflüchteten eingehen zu können, wenn diese beispielsweise mit Herausforderungen wie Arztterminen, Behördengängen oder anderen persönlichen Angelegenheiten konfrontiert sind. Auch Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit wie der Eingliederungszuschuss sind vielen Arbeitgebern noch nicht bekannt.

In der gemeinsamen Erklärung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der BA, der Spitzenverbände der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Unternehmen und der kommunalen Spitzenverbände zum Job-Turbo ist von 400.000 potenziellen Arbeitskräften die Rede. Wer ist damit gemeint?

Dabei handelt es sich um Geflüchtete mit Bleibeperspektive, die bereits einen Integrationskurs absolviert haben oder gerade abschließen und die über einen Arbeitsmarktzugang verfügen. Wir haben hier also eine Gruppe von potenziellen Arbeitskräften, die bereits erste Deutschkenntnisse mitbringen und sofort anfangen können zu arbeiten. Diese Arbeitskräfte sind im Schnitt jung. Etwa 200.000 von ihnen sind Ukrainerinnen und Ukrainer, von denen viele gut qualifiziert sind. Die andere Hälfte sind Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern, von denen viele bereits eine Menge Arbeitserfahrung mitbringen. Dieses Potenzial sollten wir nicht verschenken.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Job-Turbo wirkt?

Wir brauchen Verbindlichkeit von allen Seiten, von Institutionen, von Unternehmen und Geflüchteten selbst. Alle Partner müssen an einem Strang ziehen. Die Jobcenter müssen die Geflüchteten über die vorhandenen Förderinstrumente dabei unterstützen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und ihnen die Sorge nehmen, dass der erste Job, auch wenn es vielleicht eine Tätigkeit ist, die nicht ihrer Qualifikation entspricht, nicht der letzte sein wird. Wir versuchen es vielmehr so zu beschreiben: Der Einstieg ist der Aufstieg. Gleichzeitig müssen wir unsere Informationsangebote für Unternehmen ausbauen und uns noch stärker mit den Unternehmen vernetzen, denn viele von ihnen haben noch keine Erfahrung mit der Beschäftigung von Geflüchteten und brauchen hier Begleitung.

Wie können sich Unternehmen einbringen, damit das Vorhaben gelingt?

Je höher die Anforderungen im Beruf sind, desto höher sind auch die Anforderungen an das Sprachniveau. Gerade deshalb ist es wichtig, die Menschen jetzt schneller in Arbeit zu bringen, wo sie ihre Deutschkenntnisse ausbauen können. Für die Unternehmen bedeutet dies, dass sie eine gewisse Offenheit gegenüber Arbeitskräften zeigen müssen, die noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Branchen wie die Logistik oder die Gastronomie sind es seit Jahren gewohnt, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen einzustellen. Schauen wir uns jedoch den Beschäftigungszuwachs der letzten Jahre an, wird deutlich, dass dies in Zukunft branchenübergreifend eher die Regel als die Ausnahme sein wird. Die Demografielücke ist schon heute Realität. 2023 sind mehr Deutsche in Rente gegangen, als junge Deutsche nachkamen. Dies wurde nur durch den Beschäftigungszuwachs von Migrantinnen und Migranten ausgeglichen. Damit die gesellschaftliche Integration durch Arbeit gelingt, brauchen wir zudem eine Willkommens- und vor allem Bleibekultur, denn viele ausländische Arbeitskräfte verlassen Deutschland auch wieder.

Welche Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen sind geplant?

Gemeinsam mit Sozialpartnern, Kammern, Arbeitgeberverbänden und weiteren zentralen Akteuren haben wir über 2.500 Veranstaltungen geplant. Dabei geht es unter anderem darum, die Lebenswirklichkeit von Geflüchteten kennenzulernen und zu erfahren, wie ich mich als Unternehmen darauf vorbereiten kann. Umgekehrt wollen wir den Geflüchteten zeigen, wie man in Deutschland arbeitet und was es bedeutet, parallel zur Arbeit Deutsch zu lernen. Die Jobcenter und die Agenturen für Arbeit werden ihre Zusammenarbeit mit regionalen Arbeitgebern ausbauen und gemeinsam "Matching-Aktionen" wie Jobmessen organisieren, um Unternehmen und Geflüchtete zusammenzubringen. Darüber hinaus sind zahlreiche kleinere, branchespezifische Veranstaltungen geplant. Obwohl wir uns in einer konjunkturell schwierigen und angespannten Phase befinden, sehen wir durch den Job-Turbo bereits einen leichten Anstieg der Beschäftigungszahlen. Wenn es uns nun gelingt, den Bekanntheitsgrad der Fördermaßnahmen und der beschäftigungsbegleitenden Qualifizierungs- und Berufssprachkursangebote zu steigern, sind wir auf einem sehr guten Weg.

Wissenswertes rund um die Integration von Geflüchteten

Die Industrie- und Handelskammern sind seit 2015 bundesweit aktiv, um Geflüchtete in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen. Über 100 IHK-Ansprechpersonen leisten bei allen Fragen rund um Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Fluchthintergrund Unterstützung: Sie beraten und informieren Betriebe über die rechtlichen Rahmenbedingungen beim Einstellen von Geflüchteten, helfen jungen Menschen bei der Berufsorientierung und vermitteln sie in Einstiegsqualifizierung und Ausbildung. Außerdem stehen IHKs Unternehmen und Geflüchteten zur Seite, wenn es um Themen wie Spracherwerb, Kompetenzerfassung, Begleitung während der Ausbildung sowie Prüfungsvorbereitung geht. Seit 2022 helfen die IHK-Ansprechpersonen auch bei der Arbeitsmarktintegration von ukrainischen Geflüchteten.

Das "Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge" ist das deutschlandweit größte Unternehmensnetzwerk für die Beschäftigung von Menschen mit Fluchthintergrund. Es wurde 2016 als gemeinsame Initiative der DIHK und des Bundeswirtschaftsministeriums mit dem Ziel gegründet, Unternehmen aller Branchen und Größen bei ihrem Engagement für Geflüchtete zu unterstützen und zu vernetzen.

Seitdem sind mehr als 3.900 Unternehmen dem Netzwerk beigetreten. Diese Betriebe stoßen immer wieder auf ganz unterschiedliche Fragestellungen: Was muss ich rechtlich beachten? Was hilft mir dabei, die Qualifikation von Geflüchteten einzuschätzen? Wie lässt sich der Start in die Beschäftigung erfolgreich gestalten? Wie können die Verständigung im Team und der Spracherwerb gefördert werden?  

Dort setzt die Arbeit des Netzwerks an: Zentrale Aufgabe ist es, Wissen und praktische Erfahrungen zu bündeln und für andere Unternehmen, Organisationen und Ehrenamtliche aufzubereiten. Das Netzwerk bietet online (www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de) und in vielfältigen Publikationen relevante Informationen, organisiert zahlreiche Veranstaltungen, die digital und vor Ort Know-how vermitteln und Austausch ermöglichen. Es ist aber auch für schwierige Einzelfälle zu erreichen und macht das Engagement der Unternehmen zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter öffentlich sichtbar.  

Seit 2022 sind alle Themen rund um die Beschäftigung von ukrainischen Geflüchteten zu einem weiteren Schwerpunkt im Netzwerk geworden: Mit spezifischen Informationsmaterialien und Webinar-Angeboten informiert das Netzwerk über Hilfsmöglichkeiten und aktuelle rechtliche Entwicklungen. Als Startpunkt dient beispielsweise eine Checkliste mit Hinweisen, wie die Anstellung von Geflüchteten aus der Ukraine erfolgreich gelingen kann. Beim Lernen der Fachsprache helfen zudem für viele Branchen Sprachflyer – mit Vokabellisten in Ukrainisch sowie vielen weiteren Herkunftssprachen von Geflüchteten. 

Die Mitgliedschaft im Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge und alle Angebote sind kostenfrei nutzbar. Hier geht es zur Registrierung: www.nuif.de/registrieren 

Im Rahmen des Programms "Job-Turbo" hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum 1. Februar 2024 arbeitsplatzorientierte "Job-Berufssprachkurse" eingeführt. Das neue Kursformat soll Sprachkenntnisse vermitteln, die für den konkreten Arbeitsalltag unmittelbar relevant und stärker an den Bedarfen von Betrieben und Beschäftigten ausgerichtet sind.

Ziel ist es, den berufsbegleitenden Spracherwerb für Beschäftigte und Unternehmen attraktiver zu gestalten und den Einstieg im Betrieb auch bei noch geringeren Deutschkenntnissen zum Erfolg zu führen. Die Job-Berufssprachkurse können direkt in den Unternehmen oder virtuell stattfinden und dadurch idealerweise in den Berufsalltag eingebaut werden. Weiterführende Informationen gibt es auf der Website des BAMF.

Der Rat der EU hat im Oktober 2023 den vorübergehenden Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine bis zum 4. März 2025 verlängert. Die Anwendung in Deutschland sieht vor, dass diejenigen Aufenthaltserlaubnisse ukrainischer Geflüchteter, die am 1. Februar 2024 gültig sind, automatisch ohne Verlängerung durch die Ausländerbehörden bis zum 4. März 2025 ihre Gültigkeit beibehalten. Damit besteht der Zugang zum Arbeitsmarkt sowie zu den anderen Leistungen im Rahmen des vorübergehenden Schutzes weiterhin fort.

Weitere Informationen hierzu sind auf dem zentralen Hilfsportal der Bundesregierung für Geflüchtete aus der Ukraine zu finden: www.germany4ukraine.de

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Porträtfoto Dr. Lorenz Lauer
Dr. Lorenz Lauer Referatsleiter Integration, Vielfalt, Familie in der Arbeitswelt

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Thilo Kunze Referatsleiter Infocenter, Chefredakteur POSITION