Trotz wirtschaftlicher Stagnation kann jeder zweite Betrieb hierzulande offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen. In wichtigen Zukunftsbranchen ist die Personalnot dabei besonders groß. Das ergibt der aktuelle Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Fachkräfteengpässe gefährden Erfolg in wichtigen Schlüsseltechnologien
DIHK stellt aktuellen Report 2023/2024 vorDie Personalengpässe beträfen die Breite der Wirtschaft und zögen sich mittlerweile durch nahezu alle Branchen und Berufe, berichtete er. "Einige Branchen sprechen nicht nur von Lücken bei Fachkräften, sondern von einem allgemeinen Mangel an Arbeitskräften." In der Gesamtwirtschaft blieben nach der aktuellen Schätzung 1,8 Millionen Stellen unbesetzt. "Mehr als 90 Milliarden Euro an Wertschöpfung gehen damit in diesem Jahr rechnerisch verloren", so Dercks. "Das entspricht mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts."
Bezogen nur auf die Unternehmen, die aktuell tatsächlich Arbeitskräfte suchen, zeigen sich die Engpässe besonders deutlich: Nur ein Fünftel der suchenden Betriebe hat laut Dercks kein Problem, offene Stellen zu besetzen. "Das bedeutet im Umkehrschluss, dass acht von zehn Betrieben bei der akuten Rekrutierung von Mitarbeitern mehr oder weniger große Herausforderungen bewältigen müssen oder sogar erfolgslos bleiben."
Am häufigsten, auch das zeigt der DIHK-Fachkräftereport, fehlen auf dem Arbeitsmarkt beruflich Qualifizierte mit dualer Ausbildung: 55 Prozent der Unternehmen, die vergeblich nach Beschäftigten suchen, würden gern dual ausgebildete Praktikerinnen und Praktiker einstellen.
Mit gravierenden Folgen: 82 Prozent der Umfrageteilnehmer erwarten negative Folgen für ihr eigenes Unternehmen. 40 Prozent müssen ihr Angebot einschränken und verlieren Aufträge; und auch reduzierte Öffnungszeiten, lange Wartezeiten auf Termine oder Einbußen beim Service sind keine Seltenheit mehr.
Fachkräftemangel wird zum Standortrisiko
16 Prozent der Unternehmen können eigenen Angaben zufolge aufgrund des Arbeits- und Fachkräftemangels weniger in Deutschland investieren. Das betrifft allen voran die Industrie (22 Prozent), insbesondere den Werkzeugmaschinenbau (32 Prozent) und den Kraftfahrzeugbau (31 Prozent), aber auch Medizintechnik (27 Prozent) und die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, elektrischen und optischen Erzeugnissen (22 Prozent).
"Das sind alarmierende Werte. Denn die Engpässe gefährden unseren Erfolg in wichtigen Schlüsseltechnologien", warnte Dercks. "Bei wichtigen Zukunftsaufgaben wie Klimaneutralität, Digitalisierung, Elektromobilität und Gesundheitsversorgung können wir nur schnell vorankommen, wenn die Fachkräfte dafür da sind. Deshalb müssen wir an dieser Stelle mehr tun, um den Wohlstand des ganzen Landes über den Tag hinaus abzusichern."
Bereits mehr als jedes vierte Industrieunternehmen (27 Prozent) befürchtet aufgrund der Personalengpässe einen Verlust von Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. "Das zeigt, dass der noch immer starke Industriestandort Deutschland nicht nur bei den Energiekosten unter Druck steht", erläuterte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer. "Auch die fehlenden Fachkräfte sind eine enorme Herausforderung – mittelfristig vielleicht sogar die größere." Denn: "Kosten können generell auch wieder sinken, Demografie bleibt bis auf Weiteres."
Bei der Zuwanderung richtigen Rahmen setzen
Um gegensteuern zu können, benötigen die Betriebe nach Dercks' Worten passende Rahmenbedingungen. Zu den Optionen zählen die Intensivierung der Aus- und Weiterbildung, mehr Beschäftigung von Frauen und Älteren, die Integration von Arbeitslosen, innovative und flexible Arbeitszeitmodelle sowie Produktivitätssteigerungen und Automatisierung.
Ein wichtiger Pfeiler ist auch die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Mit der Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes – erste Änderungen traten am 18. November 2023 in Kraft, weitere folgen bis Juni 2024 – möchte die Bundesregierung den Zuzug aus Nicht-EU-Staaten vereinfachen.
Für 55 Prozent der Umfrageteilnehmer kommt die Einstellung von Menschen aus Drittstaaten in Betracht. Dabei wünschen sich 62 Prozent dieser Unternehmen, dass die Spracherwerbsangebote im In- und Ausland ausgebaut werden; 54 Prozent hoffen auf eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsverfahren. "Monatelange Wartezeiten auf einen Visumtermin, in der Post stecken gebliebene Unterlagen, fehlende Ansprechpartner in der Ausländerbehörde – all das muss der Vergangenheit angehören", forderte Dercks.
Die DIHK plädiere dafür, das gesamte Verwaltungsverfahren der Zuwanderung zu digitalisieren; zudem solle es in jedem Bundesland eine zentrale Ausländerbehörde für die Fachkräfteeinwanderung geben. In Großstädten könnten Welcome Center als "One Stop Shops" alle relevanten Verwaltungsverfahren koordinieren, zudem wäre eine bundesweite Clearingstelle für die Fachkräfteeinwanderung wünschenswert. Und, so der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer: "Die besten Gesetze und schnellsten Verfahren nützen nichts, wenn es nicht ausreichend bezahlbaren Wohnraum für die Fachkräfte gibt."
Die komplette Umfrage mit allen Einzelheiten finden Sie hier zum Download: