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Warum Suchtprävention in der Ausbildung wichtig ist

Psychoaktive Substanzen für junge Menschen bis 25 Jahren besonders riskant
Mann am Schreibtisch mit Whiskey-Glas und Zigarette

Fast die Hälfte aller Azubis weist problematischen Alkoholkonsum aus

© Image Source / Digital Vision / Getty Images

Die Zeit der Ausbildung ist entscheidend für die persönliche und berufliche Entwicklung junger Menschen. Übermäßiger Konsum von Alkohol, Cannabis, Glücksspiel & Co. in dieser Phase gefährdet sowohl die Gesundheit der Azubis als auch den Ausbildungserfolg. Mit gezielten Präventionsmaßnahmen können Betriebe diesem Risiko entgegenwirken.

Sucht am Arbeitsplatz ist in Deutschland nach wie vor ein vernachlässigtes Thema. Selbst in großen Unternehmen fehlen häufig ausreichende Präventions- und Unterstützungsangebote im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Dabei sind die Zahlen besorgniserregend: Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2019 trinkt jeder zehnte Arbeitnehmer riskant Alkohol. Die Problematik betrifft auch die Ausbildung: Eine im März 2024 veröffentlichte Untersuchung des IFT Instituts für Therapieforschung zeigt, dass fast die Hälfte aller Auszubildenden in Deutschland einen problematischen Alkoholkonsum aufweist. Daneben spielen auch Nikotin, Cannabis und Glücksspiel sowie die exzessive Nutzung von sozialen Medien und Computerspielen eine wesentliche Rolle.

Marc Pestotnik, Fachstelle für Suchtprävention Berlin

Marc Pestotnik

© Fachstelle für Suchtprävention Berlin

"Insbesondere Alkohol ist unter Auszubildenden ein sehr präsentes Thema. Ob ein problematischer beziehungsweise riskanter Konsum vorliegt, hängt nicht nur davon ab, wie oft und in welchen Mengen jemand Alkohol konsumiert, sondern auch, in welchen Situationen", sagt Marc Pestotnik von der Fachstelle für Suchtprävention Berlin, die unter anderem. Präventionsseminare für Auszubildende anbietet. Wer beispielsweise nach einem stressigen Arbeitstag erst einmal zwei Flaschen Bier trinkt, um runterzukommen, riskiert, ungesunde Verhaltensmuster zu entwickeln. "Dies ist insbesondere für junge Menschen problematisch, da sie dadurch keine alternativen Bewältigungsstrategien erlernen."

Zudem sind psychoaktive Substanzen wie Alkohol und Cannabis für Jugendliche besonders riskant, da sich ihr Gehirn bis zum 25. Lebensjahr noch in der Entwicklung befindet. Und: Je früher jemand zu konsumieren beginnt, desto höher ist sein Risiko, später eine Abhängigkeit zu entwickeln.

Aber nicht erst eine Abhängigkeit, sondern bereits ein riskanter Konsum kann sich negativ auf die Arbeit auswirken. Schwankende Leistung, mangelnde Zuverlässigkeit sowie steigende Fehlzeiten und Unpünktlichkeit gefährden den Ausbildungserfolg. "Wenn Kollegen die Arbeit des Betroffenen übernehmen müssen, kann zudem Unmut entstehen, der das soziale Gefüge der Belegschaft gefährdet", sagt Pestotnik. Dennoch ist die Scheu, auf betroffene Personen zuzugehen, groß. Dabei ist es wichtig, auffälliges Verhalten frühzeitig anzusprechen und Hilfe anzubieten.

Erfolgreiche Suchtprävention dank kollegialer Beratung

Der Energiekonzern E.ON widmet sich seit über 20 Jahren der betrieblichen Suchtprävention. Neben einer externen betrieblichen Sozialberatung stehen bundesweit mehr als 100 ehrenamtliche, interne Suchtberater an den Standorten des Unternehmens als Ansprechpartner zur Verfügung. Diese Berater kommen aus allen Bereichen des Unternehmens – vom Elektriker über den Vertriebsmitarbeiter bis hin zum Betriebsrat. Sie sind umfassend geschult, um Anzeichen von problematischem Konsum und Suchtverhalten frühzeitig zu erkennen und betroffene Mitarbeiter sensibel darauf anzusprechen.

Die unternehmensinternen Präventionsschulungen vermitteln nicht nur fundiertes Wissen über stoffgebundene Süchte wie Alkohol- oder Nikotinabhängigkeit, sondern auch über nicht-stoffgebundene Süchte wie Glücksspielsucht, Mediensucht oder Arbeitssucht. Auf Wunsch der betroffenen Mitarbeiter können die Suchtberater weiterführende Hilfen vermitteln, zum Beispiel durch externe Beratungsstellen, Therapeuten oder Rehabilitationseinrichtungen, und bei Bedarf auch den Betriebsarzt oder eine Führungskraft hinzuziehen. Darüber hinaus unterstützen sie Führungskräfte bei der Vorbereitung und Durchführung von Fürsorge- und Stufenplangesprächen.

Vera Pfürtner-Mühlberg, Leiterin HSE Culture & Health Management bei E.ON

Vera Pfürtner-Mühlberg

© E.ON

"Von Kollegen für Kollegen: Der Vertrauensaspekt spielt bei diesem Beratungskonzept eine entscheidende Rolle", sagt Vera Pfürtner-Mühlberg, Leiterin HSE Culture & Health Management bei E.ON. Viele der betrieblichen Suchtberater haben eigene Erfahrungen mit Sucht gemacht und fungieren als glaubwürdige Vorbilder. "Häufig entwickelt sich aus der Begleitung durch die Suchtberater ein jahrelanges Vertrauensverhältnis."

Im Rahmen von Führungskräfteschulungen und Gesundheitstagen rückt E.ON das Thema Sucht regelmäßig in den Fokus. "Je mehr Multiplikatoren wir haben und je mehr wir emotional die Mitarbeitenden erreichen, desto mehr enttabuisieren wir mentale Gesundheitsprobleme wie Suchterkrankungen", sagt Pfürtner-Mühlberg. Auszubildende werden bereits bei den Begrüßungsveranstaltungen und Onboarding-Tagen über die Angebote des Betrieblichen Gesundheitsmanagements informiert. "Wichtig ist uns, dass die Ansprache zielgruppenspezifisch erfolgt. Wenn ein Kollege aus der gleichen Altersgruppe den Auszubildenden offen von seinen Suchterfahrungen erzählt, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn dies von jemand anderem käme. Gerade für die Zielgruppe der Auszubildenden ist diese Vorbildfunktion von großer Bedeutung."

Ganzheitlicher Ansatz: Betriebskultur im Fokus

"Prävention am Arbeitsplatz ist vor allem dann wirksam, wenn alle einbezogen werden: Die Geschäftsführung, die Führungskräfte, die Ausbilder, die Auszubildenden, die gesamte Belegschaft", sagt Pestotnik. Als ersten Schritt empfiehlt er, die eigene Betriebskultur zu überprüfen: Wie geht das Unternehmen mit dem Thema Sucht und Suchtmittelkonsum um? Wird zu jedem Geburtstag mit Sekt angestoßen und am Freitagnachmittag der Grill angeworfen und eine Kiste Bier getrunken? "Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Auszubildende viel mehr von dem lernen, was man ihnen vorlebt, als von dem, was man ihnen erzählt."

Eine Betriebsvereinbarung zum Thema Sucht ist eine gute Möglichkeit, um klare Regeln für den Umgang mit Suchtmitteln und Suchtproblemen am Arbeitsplatz aufzustellen und präventive und unterstützende Maßnahmen zu etablieren. "Eine solche Struktur hilft denjenigen, die Auffälligkeiten bemerken, diese anzusprechen und die Belegschaft für eine Kultur des Hinsehens zu sensibilisieren", sagt Pestotnik. Gerade für kleinere Unternehmen kann es zudem sinnvoll sein, sich externe Unterstützung zu holen. "Wem die Kosten für eine Schulung zu hoch sind, der kann sich mit anderen Betrieben in der Region zusammenschließen oder zumindest ein oder zwei Mitarbeiter schulen lassen." Darüber hinaus ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Suchtprobleme eng mit der psychischen Gesundheit der Beschäftigten zusammenhängen. Daher bedarf es auch in diesem Bereich präventiver Maßnahmen und Unterstützungsangebote.

Neuer IHK-Lehrgang "Fachkraft für Prävention und Gesundheitsmanagement im Unternehmen"

Die Coronakrise hat unmissverständlich gezeigt, dass die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeiter eine entscheidende Ressource für den Erfolg eines Unternehmens darstellt. Um diese zu schützen, bedarf es qualifizierter Fachkräfte. Hier setzt der neue IHK-Zertifikatslehrgang "Fachkraft für Prävention und Gesundheitsmanagement im Unternehmen (IHK)" an: Er vermittelt fundierte Kenntnisse zu relevanten Aspekten der physischen und psychischen Gesundheit, einschließlich Sucht, psychischer Auffälligkeiten und Erkrankungen. Absolventen dieses Lehrgangs werden mit den notwendigen Instrumenten ausgestattet, um präventiv und beratend gesundheitliche Risiken sowie Herausforderungen im Bereich der Suchtproblematik zu adressieren.

Das neue, deutschlandweit angebotene Programm wurde von der DIHK-Bildungs-gGmbH in Bonn unter Federführung der IHK Nürnberg für Mittelfranken entwickelt. Die Dozenten kommen unter anderem aus der Suchthilfeeinrichtung Laufer Mühle gGmbH im bayerischen Höchstadt, die auch an der Konzeption beteiligt war. Der Lehrgang ersetzt die bisherige Fortbildung zum "Betrieblichen Suchtberater (IHK)".

Wo finden Sie außerdem Hilfe?

  • Regionale Suchtberatungsstellen, Schuldnerberatung, Jugendberatung et cetera (etwa Caritas, Diakonie),
  • Digitale Suchtberatung
  • Selbsthilfeverbände wie Blaues Kreuz, Anonyme Alkoholiker, Fachverband Glücksspielsucht und so weiter
  • Sucht & Drogen Hotline Telefon: 01806 31 30 31
  • Suchthilfeverzeichnis der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen
  • Informationen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen für Unternehmen und Beschäftigte, etwa mit Muster-Betriebsvereinbarungen oder Infos zu rechtlichen Hintergründe unter www.sucht-am-arbeitsplatz.de.

Kontakt

Mann steht vor Gemälde und hat die Arme verschränkt.
Thilo Kunze Referatsleiter Infocenter, Chefredakteur POSITION

IHK-Bildungsmagazin Position

Dieser Beitrag stammt aus dem IHK-Berufsbildungsmagazin "Position". Es erscheint jeweils zum Quartalsanfang und bietet vor allem Ausbildern, Personalverantwortlichen und Prüfern Tipps, Ideen und Tools zur Fachkräftesicherung, Best Practices sowie bildungspolitische Vorschläge. Unter www.ihk-position.de begleiten Hintergründe, Bilderstrecken und Videos online das Printprodukt.

Wie erkennen Sie Gefährdete?

Mögliche Auffälligkeiten bei Sucht oder riskantem Konsum können sein:

• steigende Fehlzeiten (vor allem rund ums Wochenende) und Unpünktlichkeit

• verringerte Aufmerksamkeitsspanne

• auffallende Müdigkeit

• ungepflegtes bzw. verändertes Erscheinungsbild

• Stimmungsschwankungen

• auffällige Gereiztheit

• körperliche Symptome wie starkes Schwitzen und Zittern oder Alkoholgeruch

• Gerüchte innerhalb der Belegschaft

7,9 Millionen

Alkohol ist hierzulande die Volksdroge Nr. 1. Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhängig, 7,9 Millionen Menschen konsumieren Alkohol in gesundheitsgefährdendem Maße (Quelle: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.)

Wie sprechen Sie betroffene Azubis an?

• Schaffen Sie einen geeigneten Rahmen für das Gespräch (ruhige, ungestörte Atmosphäre)

• Schildern Sie sachlich konkrete Auffälligkeiten, die sich auf die Arbeitsleistung beziehen, ohne Annahmen oder Vermutungen zu äußern

• Geben Sie dem Auszubildenden Raum, sich zu äußern

• Zeigen Sie ihm oder ihr die Konsequenzen des Verhaltens auf

• Bieten Sie Unterstützung an, geben Sie Informationen

• Arbeiten Sie gemeinsam Veränderungen heraus und besprechen Sie das weitere Vorgehen

• Betonen Sie die Eigenverantwortung des Auszubildenden