Der Bundestag hatte im vergangenen Sommer das Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) verabschiedet und damit die Weichen gestellt, um die Fachkräftesicherung zu stärken. Doch was genau ändert sich nun für die Betriebe? Das erklären Valerie Merz und Kathrin Tews, die bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Gesetzesnovelle begleitet haben, im Interview.
Die Berufsausbildung wird digitaler
DIHK-Expertinnen im Interview zum aktuellen BerufsbildungsrechtDie neuen Regelungen werden in der aktuellen Neuauflage von "Das Berufsbildungsrecht" erläutert, die jetzt im DIHK-Verlag erschienen ist. Die vorherige Auflage stammte aus April 2021. Welche konkreten Änderungen wurden seitdem vorgenommen?
Valerie Merz: Wesentliche Änderungen sind am 1. August 2024 mit dem Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz in Kraft getreten. Zum einen wurde das Feststellungsverfahren der individuellen beruflichen Handlungsfähigkeit ("Validierung") im Gesetz verankert. Zum anderen wurden Regelungen geschaffen, die mehr digitale Prozesse in der Beruflichen Bildung ermöglichen sollen.
Beispielsweise bedürfen Ausbildungsverträge nun nicht mehr zwingend einer Unterschrift, sondern können auch elektronisch abgeschlossen werden. Die Möglichkeiten einer Teilzeitberufsausbildung wurden weiter verbessert, insbesondere durch die Ergänzung einer vereinfachten Verkürzung auf die Vollzeitausbildungsdauer.
Außerdem werden die notwendigen Wegezeiten zwischen Berufsschule und Ausbildungsstätte nun auf die Ausbildungszeit der Auszubildenden angerechnet. Besonders hervorzuheben ist die nunmehr ausdrückliche rechtliche Verankerung des "digitalen mobilen Ausbildens". Hierzu hatten wir während der Corona-Zeit bereits ein Impulspapier veröffentlicht und freuen uns, dass der Gesetzgeber dem Wunsch der Unternehmen gefolgt ist und das mobile Ausbilden nun im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelt hat.
Was kann man sich unter "Validierung" vorstellen?
Kathrin Tews: Mit den neuen gesetzlichen Möglichkeiten können sich Personen ohne formale Abschlüsse ihre beruflichen Kompetenzen, die sie häufig über Jahre "on the job" erworben haben, bewerten und bescheinigen lassen. Dieses neue Validierungsverfahren ergänzt die bestehenden Instrumente der Beruflichen Bildung und verortet diese Aufgabe bei den nach BBiG zuständigen Stellen, zum Beispiel Industrie- und Handelskammern.
In dem berufspraktisch orientierten Feststellungsverfahren müssen die mindestens 25-jährigen Teilnehmenden nachweisen, dass sie – auch wenn sie keinen Abschluss haben oder Quereinsteigende sind – eine vergleichbare berufliche Handlungsfähigkeit im konkreten Beruf haben. Auch für Betriebe sind diese Nachweise eine Chance, denn sie erhalten eine transparente Einschätzung der beruflichen Kompetenzen der Mitarbeitenden oder auch von Bewerberinnen und Bewerbern. Sie können zudem leichter über weitergehende Einsatzmöglichkeiten oder Qualifizierungspotenzial entscheiden.
Wie gut sind die IHKs auf diese neue Aufgabe vorbereitet?
Tews: Die IHKs haben in den letzten neun Jahren wertvolle Erfahrungen durch das BMBF-geförderte Projekt Valikom Transfer gesammelt, in dessen Rahmen etwa 3.000 Personen in knapp 40 verschiedenen Berufen validiert wurden. Nun muss dieses entwickelte Verfahren an die neuen gesetzlichen Gegebenheiten angepasst werden. Die Projekterfahrungen haben gezeigt, dass die Zielgruppe mit diesem neuen beruflichen Feststellungsverfahren erreicht wurde. Im Durchschnitt waren die Teilnehmenden 41 Jahre alt, und sie konnten durchschnittlich 13 Jahre Berufserfahrung nachweisen.
Auf welche Neuerungen müssen Betriebe und IHKs außerdem vorbereitet sein?
Merz: Es gibt noch einige kleinere Änderungen, die unter dem Stichwort "Digitalisierung" neu geregelt wurden. So können sich Unternehmen und Auszubildende nun auf ein elektronisches betriebliches Zeugnis verständigen. Auch die Kommunikation mit der IHK wird nun einfacher, weil die elektronischen Kontaktdaten von Auszubildenden, Ausbildenden und Ausbildern im Verzeichnis für Berufsausbildungsverhältnisse zu hinterlegen sind.
Um dem Prüfermangel entgegenzuwirken, müssen Prüfende bei bestimmten Prüfungsleistungen nicht mehr vor Ort sein, sondern dürfen künftig auch digital zugeschaltet werden. Diese Option soll die Flexibilität des Ehrenamtes weiter steigern und gleichzeitig Zeiten und Kosten der Anfahrt sowie die damit zusammenhängende Entschädigung und Freistellung von der Arbeit minimieren.
Wer stellt sich "Das Berufsbildungsrecht" ins Bücherregal?
Merz: Ich hoffe, möglichst viele Ausbildungsbetriebe sowie die Mitarbeitenden in den IHKs, aber auch Prüfende sowie Dozentinnen und Dozenten, die im Prüfungsgeschehen stets den schnellen Zugriff auf die relevanten Normen benötigen.
Warum ist das Werk gerade auch für Kammern wichtig?
Tews: Die IHKs spielen eine entscheidende Rolle in der Beruflichen Bildung – von der Beratung und Betreuung der Unternehmen, auch auf dem Weg zu einem Ausbildungsbetrieb, bis hin zur Registrierung von Ausbildungsverhältnissen und der Durchführung von Prüfungen. Daher müssen die Kammern über alle relevanten Gesetze zuallererst informiert sein.
Gibt es denn auch negative Dinge am neuen Berufsbildungsrecht?
Merz: Die Pflicht zur Ausweisung der Berufsschulnote auf dem IHK-Zeugnis, die je nach Landesrecht nun umgesetzt werden kann, sehen wir kritisch. Die Umsetzung in der Praxis wird nach Einschätzung der Industrie- und Handelskammern zu einem erheblichen Mehraufwand sowie Verzögerungen bei der Ausstellung von IHK-Zeugnissen führen.