Draghi unterstreicht in seinem Bericht, dass jedes Jahr bis 2030 750-800 Milliarden Euro zusätzlich in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen investiert werden müssten. Das entspräche viereinhalb bis annähernd fünf Prozent des EU-Bruttoinlandproduktes. Zum Vergleich: Der jährliche EU-Haushalt entspricht circa 1 Prozent.
Hohe Investitionen dringend erforderlich
Draghi legt vier Empfehlungen vor, um die nötigen Investitionen zu finanzieren: Vollendung der Bankenunion, Aufbau einer Kapitalmarktunion, strategische Reform des EU-Haushalts – Aufnahme gemeinsamer EU-Schulden (Euro-Bonds). Die Mobilisierung des benötigten privaten Kapitals sei kein Selbstläufer. Ein Ausschöpfen des Produktionspotenzials und die Senkung von Kapitalkosten seien dazu möglicherweise nicht ausreichend. Dazu kommen müssten nach Auffassung Draghis steuerliche Anreize für produktive Investitionen – konkreter wird er allerdings nicht. Außerdem müssten steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitende Investitionen abgebaut und die Politiken der Mitgliedstaaten, bis hin zu Insolvenz- und Steuerregeln, einander stärker angeglichen werden.
Der EU-Haushalt bedarf nach Auffassung von Draghi einer umfassenden Reform: Er sei zu klein, zu wenig zielgerichtet und insgesamt risikoavers, da die EU zahlreiche Programme zur Finanzierung von Infrastruktur aufgelegt hat, die teilweise miteinander kombinierbar sind, teilweise nicht und die jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Antragsteller formulieren. Und wenn – wieder jeweils – gut 30 Prozent des EU-Budgets für die Angleichung der Lebensverhältnisse und für Landwirtschaft ausgegeben wird, ist beinahe offensichtlich, dass ihre Prioritäten unterfinanziert sein müssen. Wer, wie die EU, für drei Jahre Haushalte (den Mehrjahresfinanzrahmen MFR) aufstellt und dann sieben Jahre umsetzt, kann seine politischen Prioritäten nicht flexibel anpassen und zeitnah auf unvorhergesehene Entwicklungen reagieren.
Schließlich solle die EU künftig, wie schon beim Corona-Wiederaufbau NextGenerationEU (NGEU) neue Schuldtitel für konkrete Projekte emittieren ("Safe Asset"). Diese Projekte sollen europäische öffentliche Güter finanzieren und von grenzüberschreitenden Netzen und Verbindungsleitungen bis zu gemeinsam beschafften Verteidigungsgütern reichen. Nach Draghis Vorstellung zielen die Eurobonds mehr auf die Integration des Kapitalmarktes als auf die Finanzierung des EU-Haushaltes. Allerdings gibt es keine Gewähr dafür, dass seine Erwartung eintritt, gemeinsame Schulden auf Ebene der EU mögen nationale Haushalte entlasten und zu einer nachhaltigen Entwicklung der Staatsfinanzen beitragen. Um Zeit zu gewinnen, regt er eine Verschiebung der Tilgung von NextGenerationEU-Schulden an.