Gastbeitrag von Peter Adrian in der "FAZ" zur EU-Bürokratie
Medium: "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"Vor einer "immer schneller ratternden Regulierungsmaschine" in Brüssel hat DIHK-Präsident Peter Adrian jetzt in einem in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienenen Gastbeitrag gewarnt. Hier der Artikel im Wortlaut:
Die EU schnürt den Mittelstand ins Bürokratie-Korsett
Vom langjährigen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors stammt der Satz: "Europa ist wie ein Fahrrad – wenn es stehen bleibt, fällt es um." Ein Fahrrad fährt nur, wenn sich Menschen auf den Sattel schwingen und beherzt strampeln. Und es rollt besser, wenn die Räder voller Luft sind und die Kette gut geölt ist. In den vergangenen Jahren jedoch hat es dem EU-Räderwerk an dieser selbstverständlichen Pflege gefehlt. Stattdessen wurden die Bremsklötze angezogen und die Schaltgänge verringert. Stützräder in Form vielfältiger Finanzhilfen sollen die fehlende Stabilität ausgleichen. Das Delors'sche Fahrrad ist inzwischen kaum noch zu erkennen. Es ist so vollgepackt, dass es kaum noch vom Fleck kommt – und der Ballast immer öfter zwischen die Speichen gerät.
So jedenfalls erleben inzwischen viele deutsche Unternehmen die Auswirkungen der Brüsseler Politik in ihrer betrieblichen Praxis. Die Weiterentwicklung des Binnenmarktes stockt, wichtige internationale Handelsabkommen liegen auf Eis, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas ist im Sinkflug begriffen. Insbesondere der deutsche Mittelstand sieht sich eingeschnürt in ein Bürokratie-Korsett, das viele an Planwirtschaft erinnert: Mehr und mehr Obergrenzen, Vorgaben, Verbote, Zielmarken werden in Brüssel und Straßburg entwickelt – und dann auch noch in deutscher Gründlichkeitsmanier durch zusätzliche Regelungen, Berichts- und Nachweispflichten ergänzt.
Oft geht es dabei um wichtige staatliche Aufgaben. Wenn diese aber in so komplexer Form auf Betriebe übertragen werden, fördert das nicht nur den Bürokratie-Frust. Es gerät auch die elementare Produktionsfunktion der Unternehmen aus dem Blick. Auch viele staatliche Stellen überfordern sich selbst mit dieser Normenflut und deren Kontrolle.
Die Wirkung für uns alle ist fatal. Statt den mutigen Aufbruch zu wagen, sind die Ressourcen der Unternehmen zunehmend im Befolgen kleinteiligster Vorschriften gebunden. Während hiesige Politikerinnen und Politiker die EU und Deutschland als Vorbild für die Transformation anderer Regionen der Welt preisen, fürchten viele Unternehmerinnen und Unternehmer das Gegenteil: Im globalen Wettbewerb droht uns die Luft auszugehen. Andere Regionen in der Welt setzen kompromisslos auf Digitalisierung, Schnelligkeit und Innovation. Wir verlieren den Anschluss.
Wir müssen uns wieder auf unsere Grundtugenden besinnen: Freiheit, Wettbewerb, Rechtsstaatlichkeit und Kooperation. Groß bei großen Dingen, klein bei kleinen Dingen, hat das noch 2017 der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker formuliert. Nur mit diesem Spirit kann es auf EU-Ebene gelingen, die Bürokratie wieder einzudämmen. Die aktuelle EU-Kommission hat hierzu bislang keines ihrer Versprechen eingelöst. Zuletzt hatte sie sich zur "One in, One out"-Regel bekannt, wonach für ein neues Gesetz ein bestehendes abgeschafft werden soll.
In Wirklichkeit rattert die Regulierungsmaschine immer schneller: 2021 hatte die EU nach DIHK-Rechnung noch knapp 1.600 Regelungen gestrichen und etwa 2.400 neue Rechtsakte erlassen. 2022 fielen nur noch 688 Regelungen weg und es kamen 2.429 neue dazu. Das Verhältnis von alten zu neuen Rechtsakten hat sich damit von 1,5 auf 3,5 massiv verschlechtert. Und es geht weiter in diesem Tempo. Im Juni kamen auf einen gestrichenen Rechtsakt sogar schon fast fünf neue.
Das immer dichtere Gestrüpp von teilweise widersprüchlichen Vorschriften ist eine der größten Wachstumsbremsen unseres Kontinents. Hier muss die Bundesregierung im EU-Rat öfter Flagge für die deutsche Wirtschaft zeigen – wohlgemerkt nicht für Einzelinteressen, sondern für die Basis unseres Wohlstandes und die Entfaltung unserer Unternehmen. Leider gibt es aber auch dort zu viele Anhänger einer zentral gesteuerten Wirtschaft.
Wer das tut, hat jedoch schnell überdreht. Während beispielsweise die Bundesregierung die Ansiedlung eines Werks zur Chip-Produktion in Sachsen-Anhalt mit zehn Milliarden Euro Steuergeld fördert, wirkt sie in Brüssel mit, die dafür notwendigen Chemikalien schnellstmöglich zu verbieten. In atemberaubender Geschwindigkeit können praxisfremde Neuregelungen durch die EU-Gesetzgebungsmaschinerie rauschen. Zugleich schafft es die EU seit Jahren nicht, beispielsweise die ärgerliche Bürokratie rund um die erforderlichen A1-Bescheinigungen bei grenzüberschreitenden Dienstreisen und Einsätzen in den Griff zu bekommen. Während der EU-Binnenmarkt bei den deutschen Unternehmen höchste Wertschätzung genießt, findet seine Weiterentwicklung in Brüssel kaum noch statt.
Es reicht nicht aus, die stark gestiegenen Berichtspflichten um ein Viertel zu reduzieren, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Frühjahr angekündigt hat. Wir brauchen einen radikalen, spürbaren Kurswechsel. Gerade bei Nachhaltigkeitsthemen wie dem Schutz des Klimas, unserer Ressourcen und der Menschenrechte kommen wir schneller voran, wenn wir auf die Ideen und Eigenverantwortung der Unternehmen setzen. Betriebe aller Größen engagieren sich gerne bei diesen Themen, das sehen wir in unseren Umfragen. Aber das muss realitätsnah und unkompliziert möglich sein. Die DIHK hat sich dazu in Brüssel und Berlin mit konkreten Vorschlägen eingebracht.
Vieles könnte in Europa besser und schneller laufen, wenn wir es zulassen. Als ein Vertreter der deutschen Wirtschaft, aber vor allem auch als überzeugter Europäer aus der Grenzregion von Deutschland, Frankreich und Luxemburg appelliere ich an die Entscheider in Brüssel und Straßburg: Trauen Sie den Menschen und damit auch den Unternehmen mehr zu! Europa kann nur erfolgreich sein, wenn wir Tüftlern Spielraum lassen, Erfinderinnen ermutigen und Unternehmen mehr Neues ausprobieren dürfen. Der Wettbewerb der Ideen bringt die besten Ergebnisse. Tragfähige Erfolge stellen sich nur dann ein, wenn die EU wieder stärker auch wirtschaftliche Aspekte im Blick hat.
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