Unternehmen schätzen die EU, brauchen aber Initiativen Richtung Wettbewerbsfähigkeit
Vor den Europawahlen im Juni hat die IHK-Organisation Unternehmen zur europäischen Integration, den Prioritäten der kommenden EU-Legislatur sowie der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa befragt.
Die knapp 3.000 Antworten zeigen: Die EU ist für die Unternehmen wichtig. Besonders schätzen sie die politische Stabilität, den gemeinsamen Währungsraum, einheitliche EU-Normen und -Standards sowie den Zugang zu europäischen Märkten. Gerade mit Blick auf letztere Faktoren erstaunt nicht, dass die Zustimmungswerte bei den international aktiven Unternehmen noch höher sind als bei den nur im Inland tätigen Betrieben.
Der europäische Standort verliert an Attraktivität
Anlass zur Sorge bereitet jedoch, dass über die Hälfte der Unternehmen (56 Prozent) angeben, die Attraktivität der EU als Wirtschaftsstandort habe sich in den letzten fünf Jahren verschlechtert. Insbesondere die Industrie leidet unter der aktuellen Situation.
Den größten Handlungsbedarf für die neue EU-Legislatur sehen die Betriebe bei der überbordenden Bürokratie und der teuren Energieversorgung – gerade bei energieintensiven Branchen bewirken die hohen Energiepreise in der Beschaffung spürbare Produktionsrückgänge. Diese beiden Themen muss die Politik nach den Wahlen dringend in Angriff nehmen. Weitere wichtige Punkte für die Agenda aus Sicht der Befragten sind der Schutz der Unternehmen vor digitalen und analogen Angriffen sowie der strategische Aufbau von Zukunftsindustrien.
Der Bürokratieabbau wird von über 90 Prozent der Betriebe als wichtigstes Instrument wahrgenommen, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu verbessern. Denn komplexe Zulassungs- und Genehmigungsverfahren drücken ebenso auf die Innovations- und Investitionsbereitschaft wie kleinteilige Dokumentationspflichten. Besonders stark belasten diese kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Im Bereich der besseren Rechtsetzung fordert die IHK-Organisation daher, für alle Gesetzesvorhaben Folgenabschätzungen und KMU-Tests vorzusehen.
Auch sollte die EU-Kommission den Empfehlungen des kommissionsinternen Kontrollgremiums (Regulatory Scrutiny Board) konsequenter folgen, sodass nicht KMU-gerechte Gesetze wie die europäische Lieferkettenrichtlinie erst nach Überarbeitung in den regulären Gesetzgebungsprozess gelangen. Wichtig wäre zudem eine Bestandsaufnahme der bestehenden Berichtspflichten. Dadurch könnten Dopplungen vermieden und ihr grundsätzlicher Nutzen überprüft werden.
Initiativen für mehr Wettbewerbsfähigkeit sind gefragt
Die Unternehmen sehen Vorhaben zur Reduktion von Bürokratie und Berichtspflichten sowie zur Sicherung des Zugangs zu kritischen Rohstoffen insgesamt als positiv für die Wettbewerbsfähigkeit. Folgerichtig wirken sich aber aktuelle Maßnahmen der EU negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung des Standorts Europa aus. Das gilt insbesondere für die europäische Lieferkettenrichtlinie, die 43 Prozent als negativ für die Wettbewerbsfähigkeit der EU einstufen und nur 8 Prozent als positiv. Auch die Einführung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Unternehmensfinanzierung wird von 29 Prozent der Befragten als belastend für die Wettbewerbsfähigkeit bewertet (14 Prozent finden sie "wettbewerbsfördernd").
Auffällig ist auch, dass bei mehreren Gesetzesinitiativen mindestens ein Viertel der Unternehmen gar keine Einschätzung abgeben können oder wollen, beispielsweise, weil sie nicht betroffen oder aufgrund der Komplexität schlicht nicht mehr in der Lage sind, die Auswirkungen auf ihren Betrieb zu überblicken.
Deswegen sollten zukünftig alle Regelungen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa beeinflussen, vorab besser geprüft und bewertet werden.
Um dem Verlust der Standortattraktivität entgegenzuwirken, braucht die EU eine neue Agenda für Wettbewerbsfähigkeit, die auf einem ernsthaften Bürokratieabbau, erschwinglicher Energie, einer ausgewogenen Regulierung und Förderung von Innovation und Fachkräften basiert. Europa muss sich auf Bestrebungen konzentrieren, die aus der Krise führen. Es gilt, die Wirtschaft, auf der unser Wohlstand aufbaut, wieder stark zu machen.
Die ausführliche Auswertung mit dem Titel "Wirtschaft wieder stark machen" finden Sie hier.