
Mal eben nach Frankreich, um eine Anlage zu installieren? So einfach ist es in der Praxis leider nicht
© Remy genoud / iStock / Getty Images Plus
Mal eben nach Frankreich, um eine Anlage zu installieren? So einfach ist es in der Praxis leider nicht
© Remy genoud / iStock / Getty Images Plus
Im Europäischen Binnenmarkt dürfen Dienstleistungen und Personen frei über die Grenzen hinweg erbracht werden beziehungsweise agieren. Theoretisch. Doch wenn ein Unternehmen dann tatsächlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dienstlich in ein anderes EU-Land schickt, steht es vor einer geradezu detektivischen Aufgabe: Welche Angaben müssen den Behörden vor Ort übermittelt werden? In welcher Sprache hat dies zu erfolgen? Welches Meldeportal ist das richtige? Neben Nerven kostet das den Betrieb vor allem eines: viel Zeit und Geld. Laut Berechnungen der EU-Kommission entstehen europäischen Unternehmen allein durch die bürokratischen Belastungen rund um Entsendungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Kosten im dreistelligen Millionenbereich.
Werden Arbeitskräfte in ein Land des EU-Binnenmarkts entsandt, sind die dort geltenden Entsendebestimmungen einzuhalten. Zudem muss eine Bestätigung über die Sozialversicherungspflicht im Heimatland (eine sogenannte A1-Bescheinigung) vorliegen. Diese Regelungen sollen dem Schutz der Mitarbeitenden sowie der Verhinderung von “Sozialdumping” dienen.
Da es keine einheitlichen europäischen Standards gibt, müssen die Betriebe je nach Land unterschiedliche Portale verwenden, die oftmals hohe Sprachbarrieren mit sich bringen. Auch die Zahl der notwendigen Angaben variiert stark. Gerade wenn Unternehmen erstmals in ein bestimmtes Land entsenden, ist dies mit einem beträchtlichen Zeitaufwand beziehungsweise hohen Kosten für externes Know-how verbunden. Diese Problematik lässt sich auch mit Zahlen belegen: Laut einer kürzlich veröffentlichten Berechnung des Internationalen Währungsfonds IWF wirken diese und andere innereuropäische Hürden bei der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen in der Summe wie ein Zoll von 110 Prozent. Der EU-Binnenmarkt, der eigentlich europäischen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bescheren sollte, wird dadurch zum Hindernis für die Produktivität der Wirtschaft in der gesamten Union.
Die EU-Kommission hat Ende 2024 auf diese Fehlentwicklung reagiert – auch auf hartnäckigen Druck der DIHK und anderer Wirtschaftsverbände: Im November legte sie einen Vorschlag für die Einrichtung eines einheitlichen Portals vor. Über dieses sollen mit einem standardisierten Formular alle Informationen rund um die Entsendung übermittelt werden können. Wenngleich der Ansatz aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft in die richtige Richtung geht, fehlt das nötige Ambitionsniveau, um die Unternehmen tatsächlich zu entlasten. Denn den EU-Mitgliedern stünde frei, ob sie das Portal nutzen oder weiter ihre eigenen Lösungen verwenden wollen. Von den unmittelbaren Nachbarländern Deutschlands etwa plant derzeit nur Tschechien eine Teilnahme. Die Fragmentierung über die Mitgliedstaaten hinweg könnte also bestehen bleiben. Oberstes Ziel muss in den Verhandlungen daher eine für alle Seiten verbindliche Regelung sein, damit die europäische Politik ihrem eigenen Anspruch beim Bürokratieabbau gerecht werden kann.
Zudem braucht es eine Lösung für das verbindliche Mitführen der A1-Bescheinigung, welche die Sozialversicherungspflicht im Entsendeland bestätigt. Die Ausstellung der Bescheinigung stellt für Unternehmen eine erhebliche bürokratische Belastung dar und ist aufgrund unterschiedlicher nationaler Regelungen oft mit großer Rechtsunsicherheit verbunden. Leider würde diese Problematik durch das Meldeportal nicht gelöst, eine geplante Reform scheitert derzeit an der Uneinigkeit der Mitgliedstaaten. Beide Aspekte sind Puzzlesteine der vielen administrativen Hürden, die die Produktivität der europäischen Unternehmen hemmen. Die DIHK hat kürzlich 50 konkrete Vorschläge (PDF, 1 MB) vorgelegt, wie die bürokratische Belastung für Wirtschaftstreibende auf EU-Ebene reduziert werden kann. Diese gilt es nun schnell umzusetzen, um den Standort Europa langfristig zu stärken.