Deutsche Unternehmen zeigen ein großes Interesse an der Ukraine, agieren jedoch angesichts der unsicheren Sicherheitslage und unklarer kurz- bis mittelfristiger Entwicklungen eher vorsichtig. Chancen und Herausforderungen eines Engagements in dem osteuropäischen Land benennt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in einem Impulspapier.
Wirtschaftliche Lage in der Ukraine – Chancen für die Privatwirtschaft
DIHK-Impulspapier zur Situation vor OrtAktuelle Lage und Herausforderungen
In der Ukraine zeigt sich die Wirtschaft mehr als 1.000 Tage nach Beginn der russischen Invasion trotz anhaltend heftiger Kriegsfolgen relativ stabil. Die Wirtschaft wächst derzeit kontinuierlich, gestützt durch die funktionierende Exportlogistik über das Schwarze Meer. Auch das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Ukraine nimmt zu. Mit mehr als 50 abgesicherten Projekten zählt die Ukraine inzwischen zu den drei wichtigsten Partnern der deutschen Investitionsversicherung. Unterstützende Instrumente wie Exportkreditversicherungen und das "ImpactConnect"-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung helfen Unternehmen, Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig bleibt das Volumen gedeckter Investitionsprojekte überschaubar, und groß angelegte Investitionen deutscher Unternehmen sind in den letzten zwölf Monaten ausgeblieben.
Interesse und Zurückhaltung der Unternehmen
Deutsche Unternehmen zeigen ein großes Interesse an der Ukraine, agieren jedoch zurückhaltend angesichts der unsicheren Sicherheitslage und unklarer kurz- bis mittelfristiger Perspektiven. Das Netzwerk der deutschen Industrie- und Handelskammern (IHKs) und die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine) organisieren regelmäßig Veranstaltungen, um über wirtschaftliche Möglichkeiten und Herausforderungen zu informieren. Mit dem Kompetenzzentrum Wiederaufbau Ukraine hat die DIHK darüber hinaus auch eine eigene Anlaufstelle zur Vernetzung relevanter wirtschaftsnaher Akteure geschaffen.
Positiv hervorzuheben ist, dass die Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern häufig Wettbewerbsvorteile schafft. Während das Land um seine militärische Verteidigung kämpft, arbeitet es ebenso intensiv daran, seine Wirtschaft zu stabilisieren und internationale Investitionen zu fördern.
Energie- und Personalprobleme
Zwar haben Fortschritte wie die Erhöhung der Stromimportkapazität das Versorgungssystem stabilisiert, doch der Wiederaufbau erfordert weiterhin erhebliche Anstrengungen.
Ein weiteres Problem ist der Arbeitskräftemangel: Der militärische Bedarf konkurriert mit dem der Unternehmen, während viele Frauen das Land verlassen haben. Zudem hemmen Sicherheitsrisiken und Devisenbeschränkungen die Bereitschaft, neue Projekte zu starten oder bestehende auszuweiten.
Chancen für Investitionen und Kooperationen
Energiesektor und Wiederaufbau
Die Stärkung der Energiesicherheit ist essenziell. Eine Integration in das europäische Stromnetz und der Ausbau dezentraler Energieversorgung eröffnen deutschen Unternehmen Potenziale für technologische Partnerschaften und Investitionen.Bauwesen und Energieeffizienz
Der Großteil der Wohngebäude wurde vor 1991 errichtet und bietet Möglichkeiten für eine Modernisierung hin zu mehr Energieeffizienz. Dies schafft sowohl Einsparpotenziale für Verbraucher als auch neue Märkte für Hersteller und Zulieferer.Agrarwirtschaft und Wertschöpfungsketten
Die Ukraine könnte aufgrund des Klimawandels ihre landwirtschaftliche Produktion diversifizieren und Technologien für ertragreichere Pflanzen und moderne Verarbeitungslösungen integrieren. Investitionen in diesem Bereich können die Exportfähigkeit und die Wertschöpfung steigern.Technologische Entwicklungen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich
Die Ukraine hat sich in Bereichen wie Drohnentechnologie, künstliche Intelligenz und Cybersicherheit weiterentwickelt. Intensivierte Partnerschaften in diesen Sektoren bieten deutschen Unternehmen die Möglichkeit, von ukrainischem Know-how zu profitieren und gleichzeitig ihre eigenen Innovationen voranzutreiben.Harmonisierung von Standards und Handelsbeziehungen
Die vollständige Umsetzung des Vertieften Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse könnten die Integration ukrainischer Produkte in internationale Lieferketten erleichtern. Investitionen in die Qualitätsinfrastruktur und Zertifizierungssysteme stärken die Handelsfähigkeit der Ukraine nachhaltigFinanzierung und Versicherung
Der Zugang zu kommerzieller Projektfinanzierung bleibt aufgrund hoher Risiken eingeschränkt. Internationale Entwicklungsbanken und staatlich abgesicherte Programme dominieren derzeit. Ein temporäres Finanzinstrument, das kommerzielle Risiken reduziert und Investitionen während des Kriegsrechts erleichtert, könnte dringend benötigtes privates Kapital mobilisieren.
Fazit
Trotz der schwierigen Umstände bietet die Ukraine deutschen Unternehmen vielfältige Chancen, wirtschaftlich aktiv zu werden oder bestehende Beziehungen auszubauen. In einigen Bereichen ist es sinnvoll, bestehendes Engagement zu sichern, während in anderen jetzt der richtige Zeitpunkt ist, Partnerschaften zu vertiefen oder neue Projekte anzustoßen.
Die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union bietet eine wichtige Perspektive. Durch gezielte Unterstützung bei der Umsetzung des Acquis communautaire können Reformen beschleunigt und die wirtschaftliche Integration gefördert werden. Deutsche Unternehmen sollten diese Entwicklungen im Blick behalten, um rechtzeitig von den entstehenden Potenzialen zu profitieren.