Als Beitrag zur "Bekämpfung der modernen Sklaverei" verstehen die EU-Institutionen ihre Verordnung zum Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Die gewerbliche Wirtschaft unterstützt dieses Bestreben, plädiert gleichzeitig aber für Verhältnismäßigkeit, Praxistauglichkeit und Rechtssicherheit in der Umsetzung.
Einigung zum EU-Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit
DIHK: Umsetzung muss aktuelle Belastungen der Betriebe berücksichtigenDie Europäische Union will die Einfuhr, Ausfuhr und das Inverkehrbringen von Produkten aus Zwangsarbeit auf dem EU-Binnenmarkt verbieten. Die Unterhändler von Europäischer Kommission, Parlament und EU-Rat haben sich im Trilog am 5. März auf einen gemeinsamen Vorschlag für eine entsprechende Verordnung geeinigt.
Nun wurde am 13. März der Vorschlag von den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten bestätigt. Da die Zeit bis zu den Europawahlen im Juni knapp wird, könnte das Dossier im weiteren Verlauf im sogenannten Korrigendum-Verfahren angenommen werden. Das bedeutet, dass die Genehmigung durch die Abgeordneten im Plenum des Parlaments bis nach den Wahlen verschoben wird. Die Regelungen werden dann nach drei Jahren gelten.
Die IHK-Organisation steht grundsätzlich voll hinter den Zielen des Vorhabens. Sie fördert verantwortungsvolles Unternehmertum nach dem Leitbild der Ehrbaren Kaufleute. An der Umsetzung gab es jedoch Kritikpunkte der gewerblichen Wirtschaft, die gehört und teils aufgenommen wurden. Das Verhandlungsergebnis verbessert die bisherigen Entwürfe der EU-Kommission, des Europäischen Parlamentes und des Rates in einigen Punkten. Dennoch muss es auch im Kontext der aktuellen Belastung der Betriebe gesehen werden. Wenn die Verordnung auch in erster Linie Behörden der EU-Mitgliedstaaten adressiert, sind doch Unternehmen betroffen – mittelbar durch Informationspflichten und gegebenenfalls auch durch wirtschaftliche Verluste.
Die Verordnung in Kürze
Die Verordnung sieht ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt vor. Anhand eines risikobasierten Ansatzes entscheidet die zuständige Behörde, ob sie eine produktbezogene Untersuchung einleitet. Bei Nachforschungen außerhalb der Europäischen Union ist die EU-Kommission zuständig; fallen die Risiken in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, leitet eine nationale Behörde die Ermittlungen.
Untersucht werden vor allem die Glieder der Wertschöpfungskette, an denen ein erhöhtes Risiko von Zwangsarbeit besteht. Auch die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der entsprechenden Wirtschaftsakteure, die Menge der betroffenen Produkte und das Ausmaß der mutmaßlichen Zwangsarbeit sollen berücksichtigt werden – ebenso wie die Frage, ob das gesamte Produkt oder nur Komponenten betroffen sind.
Wird Zwangsarbeit in einem Produkt nachgewiesen, muss dieses vom Markt genommen werden. Hält sich ein Unternehmen nicht an die Entscheidung der Behörde, sind Sanktionen vorgesehen.
Zudem soll im Rahmen der Verordnung eine Datenbank eingerichtet werden, in der die Informationen zu Risiken von Zwangsarbeit in Branchen und Regionen aufbereitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Kritikpunkte wurden gehört
Von der im Vorfeld diskutierten Beweislastumkehr wird abgesehen. Hier hätte das betroffene Unternehmen bei staatlich organisierter Zwangsarbeit das Nichtvorhandensein von Zwangsarbeit in der Lieferkette beweisen müssen. Die gewerbliche Wirtschaft hatte kritisiert, dies unterlaufe den grundlegenden Ansatz der Verordnung, der in erster Linie Behörden adressiere. Außerdem war unklar, wie solch ein Beweis in der Praxis hätte erbracht werden können.
Auch die Überlegung, Wiedergutmachungsmaßnahmen (Remediation) seitens der Unternehmen in die Verordnung aufzunehmen, wurde nicht in der Einigung verankert. Sie beruhte auf einer Überschätzung der betrieblichen Kontroll- und Handlungsoptionen: Die tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Zulieferkette variieren je nach Unternehmensgröße, -struktur und Marktposition erheblich.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben oft nur begrenzten Einfluss und geringe Kontrollmöglichkeiten bei der Einhaltung der Standards vor Ort. Zudem blieb in den bisherigen Diskussionen unklar, wie praktische Maßnahmen aussehen könnten und wie sie sich verhältnismäßig umsetzen und rechtssicher belegen ließen.
Neu bei der vorläufigen Einigung: Falls bei für die EU kritischen Produkten Zwangsarbeit festgestellt wird, kann die zuständige Behörde beschließen, auf die Beseitigung dieser Waren zu verzichten. Stattdessen kann sie anordnen, dass das Unternehmen das Produkt so lange zurückhält, bis es nachweisen kann, dass in seinem Betrieb oder in seiner Lieferkette keine Zwangsarbeit mehr vorkommt. Grundsätzlich könnte dies aus Wirtschaftssicht ein positiver Ansatz zur Vermeidung von Engpässen sein. Da die konkrete Umsetzung noch zu regeln ist, bleibt abzuwarten, wie praxistauglich er sein kann.
Unterstützungsmaßnahmen für KMU wichtig
Die Kommission hat angekündigt, Leitlinien für Wirtschaftsteilnehmer und zuständige Behörden herauszugeben, um sie beim Einhalten der Anforderungen aus der neuen Verordnung zu unterstützen. Die Materialien sollen über ein zentrales Portal abrufbar sein und neben Best Practices zur Beendigung und Beseitigung von Zwangsarbeit auch Leitfäden für KMU enthalten.
Belastungs-Kontext berücksichtigen
Die Verordnung ist vor dem Hintergrund der Vielzahl von Sorgfalts- und Dokumentationspflichten im Bereich Due Diligence zu bewerten, mit denen die Unternehmen in den letzten Jahren auf nationaler und EU-Ebene belegt wurden und perspektivisch noch werden.
Ebenso wie die zunehmenden Handelshemmnisse beeinflussen die neue Verordnung und ähnliche Vorschriften zu Umwelt- und Sozialstandards, wie und wo Unternehmen ihre Lieferketten aufbauen können. Vor allem der Mittelstand ist dadurch enorm belastet. Deshalb sollten die Berichtspflichten aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft dringend harmonisiert werden, um unnötigen Mehraufwand zu vermeiden und die Implementierung von Compliance-Maßnahmen zu erleichtern.
"Diversifizierungsdruck, Störung internationaler Lieferketten, Kriege und Haushaltskrise setzen Unternehmen erheblich unter Druck", stellt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier klar. Eine verzahnte Betrachtung des Verbotes von Produkten aus Zwangsarbeit mit verwandten Gesetzesinitiativen sei daher von hoher Relevanz für die gewerbliche Wirtschaft. "In diesen Zeiten müssen die Zeichen der Politik auf Entlastung der Wirtschaft und nicht auf Belastung stehen", so Treier.Denn die politische Einflussnahme auf Lieferketten wird von den Unternehmen ohnehin als Hindernis bei der notwendigen Diversifizierung wahrgenommen. Schließlich können die mit entsprechenden Vorschriften verbundenen Berichtspflichten sowohl die Kosten als auch den Planungsaufwand der Betriebe empfindlich erhöhen.
So bewerteten im Frühjahr 2023 zwei von fünf der im Zuge des AHK World Business Outlook befragten 5.100 Mitgliedsunternehmen deutscher Auslandshandelskammern (AHKs) die Zunahme von politischem Einfluss auf Lieferketten als eine der größten Herausforderungen für ihr Geschäft.
Im Oktober 2023 hat sich die DIHK in einer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf der Kommission positioniert. Hier können Sie weitere Details nachlesen: