Pfadnavigation

"Fehlende Fachkräfte gefährden die Energiewende" 

DIHK-Prognos-Studie: Breiter Lösungsansatz jenseits von "Klima-Berufen" nötig
Ingenieur mit Tablet steht vor Tanks mit Grünem Wasserstoff

Für den Einsatz neuer Technologien braucht es Expertise

© Scharfsinn86 / iStock / Getty Images Plus

Personalengpässe drohen die Energiewende in Deutschland auszubremsen: Wie die neue Studie "Fachkräftebedarf und Fachkräftegewinnung in der Transformation" zeigt, sind allein für den Ausbau der Kernbranchen Solar, Wind und Wasserstoff bis zum Jahr 2030 mehr als eine halbe Million Fachkräfte erforderlich, um das äußerst ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen.

Die Untersuchung, die die Prognos AG im Auftrag der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) durchgeführt hat, verdeutlicht, dass es für die Energiewende mehr braucht als neue Technologien und Innovationen – und dass insbesondere gut qualifiziertes Personal zum Engpassfaktor werden könnte.

Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer

Achim Dercks

© DIHK / Werner Schuering

"Viele Unternehmen gehen davon aus, dass die Transformation aufgrund des Fachkräftemangels länger dauern wird und die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien nur teilweise erreicht werden können", berichtet der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks von den Ergebnissen der Studie. 

Gleichzeitig warnt er davor, sich bei den Strategien zur Fachkräftesicherung nur auf die Schlüsselbranchen und somit auf die landläufig als Klima- oder Transformations-Berufe bezeichneten Qualifikationsprofile zu fokussieren. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien ist von vielen Teilschritten in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen abhängig. Daher können nicht nur Fachkräfteengpässe im Kerngeschäft der Energiebranche zu Verzögerungen führen, sondern auch in vielen weiteren "nicht-grünen" Branchen und Berufen.  

Fahrermangel kann Windkraft-Ausbau behindern

"Entscheidend ist, dass wir bei der Ermittlung der Fachkräftebedarfe stets die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen", erläutert Dercks. "Beispielsweise können Fachkräfteengpässe in den Bereichen Logistik und Transport oder Planung und Administration die notwendige Transformation der Wirtschaft insgesamt gefährden. Konkret heißt das: Der Aufbau von Windkraftanlagen kann sich verzögern, weil Lkw-Fahrer fehlen." 

Der Blick auf die drei im Rahmen der Studie untersuchten Wertschöpfungsketten Solar, Wind und Wasserstoff zeigt, dass rund 250 Berufe – von dual ausgebildeten Kaufleuten über Industriemeister bis hin zu Ingenieuren – relevant sind, um die Klima- und Transformationswende zu gestalten. "Die Defossilisierung erfordert qualifiziertes Personal", betont der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer. "Insbesondere die Berufliche Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle, denn rund zwei Drittel der relevanten Fachkräfte benötigen eine berufliche Qualifikation."

Schlüsselfaktor branchenübergreifende Fachkräftesicherung

Dass diese Stellschraube intensiv genutzt werden muss, belegt ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: In den 250 Berufen, die für die Transformation relevant sind, fehlen branchenübergreifend bis 2035 rund 560.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Der Wettbewerb um kluge Köpfe wird sich noch weiter verschärfen und somit ein zusätzliches Risiko für eine erfolgreiche Energiewende darstellen", warnt Dercks.  

Die Studie zeigt, dass die branchenübergreifende Fachkräftesicherung ein bisweilen unterschätzter Schlüsselfaktor für die Defossilisierung und die dafür erforderlichen Transformationsprozesse ist. "Gelingt es uns nicht, den Fachkräftemangel entlang der relevanten Wertschöpfungsketten in den Griff zu bekommen, sind die Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien eher eine Utopie, denn ein realistisches Zukunftsszenario", fasst Dercks die Befunde zusammen. 

Mittelfristig gefährde dies auch die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Standortattraktivität der deutschen Wirtschaft insgesamt. "Die gute Nachricht ist: Mit den vielfältigen und innovativen Angeboten der Beruflichen Bildung verfügen wir über ein wirkungsvolles Instrumentarium, um dem Fachkräftemangel entlang der relevanten Wertschöpfungsketten entgegenzuwirken."  

Die detaillierten Ergebnisse der DIHK-Prognos-Studie gibt es hier zum Download:

"Defossilisierung und Klimaneutralität – Fachkräftebedarf und Fachkräftegewinnung in der Transformation" (PDF, 5 MB)
 

Fachkräfte für die Transformation gewinnen – was zu tun ist

Nach Einschätzung der DIHK bieten sich folgende Stellschrauben an, um das für ein Erreichen der Klimaziele erforderliche Personal zu sichern: 

  • Berufsorientierung: Es gilt, bereits in den Schulen die richtigen Weichen zu stellen. Eine frühzeitige, umfassende und praxisorientierte Berufsorientierung ist das A und O. Dabei sollten Kinder, Jugendliche sowie auch deren Eltern die große Bandbreite der Berufs- und Tätigkeitsfelder kennenlernen, die für die Transformation relevant sind. Nach wie vor konzentriert man sich aber bei dem Versuch, junge Leute für eine entsprechende Ausbildung zu begeistern, auf einige wenige umwelttechnische oder etwa Berufe im Bereich Sanitär, Heizung und Klima. Zeigt man hingegen auf, dass auch Fachkräfte im Büromanagement oder in der Logistik einen unverzichtbaren Beitrag zur Klimaneutralität leisten, so könne man eine viel breitere Zielgruppe erreichen und größere Fachkräftepotenziale heben.   
  • Berufsausbildung: Ohnehin ist der Fokus auf vermeintlich grüne Berufe bei der Fachkräftesicherung für die Transformation zu verengt. Dies gilt auch für die duale Berufsausbildung: Nachhaltigkeit und nachhaltiges Handeln müssen künftig in jeder Ausbildung vermittelt werden – junge Leute sollen lernen, wie sie selbst durch ihr berufliches Handeln zur Transformation beitragen können. Diese Fähigkeit ist zunehmend integraler Bestandteil der beruflichen Handlungskompetenz. Und wenn es gelingt, auf diese Weise noch mehr junge Leute für die duale Berufsausbildung zu begeistern, gewinnen die Betriebe die für die Transformation dringend benötigen Fachkräfte mit beruflicher Qualifikation.  
  • Teilqualifizierung: Eine weitere Möglichkeit, fachlich fit für die Transformation zu werden und eventuell auch schrittweise einen Berufsabschluss zu erlangen, sind sogenannte Teilqualifizierungen. Diese modular aufgebauten Maßnahmen orientieren sich an anerkannten Ausbildungsberufen und sind insbesondere für Geringqualifizierte eine echte Chance. Mittels Teilqualifizierungen kann es gelingen, Beschäftigtenpotenziale insbesondere in bisher weniger beachteten Personengruppen für die Transformation zu heben.  
  • Zusatzqualifikationen: Hilfreich sind in der Beruflichen Bildung auch interdisziplinäre Zusatzqualifikationen, die als passgenaue Ergänzungen zu einer dualen Berufsausbildung erworben werden können. Für ausgewählte Berufe, die in den Wertschöpfungsketten Wind, Photovoltaik und Wasserstoff zentral sind, existiert bereits heute ein breites Angebot. Ganz aktuell hat die IHK-Organisation in Zusammenarbeit mit Betrieben die neue Zusatzqualifikation Wasserstoff entwickelt. 
  • Höhere Berufsbildung: Eine zentrale Rolle für das Erreichen der Klimaziele spielen die bewährten Abschlüsse der Höheren Berufsbildung wie Industriemeister oder Fachwirte. Diese stehen für einen breiten Qualifizierungsansatz. So werden beispielsweise in der Logistik, dem Güterverkehr oder in der Produktionssteuerung Kompetenzen rund um die Nachhaltigkeitsdimensionen vermittelt – und erlauben einen breiten Einsatz der Absolventen entlang der zentralen Wertschöpfungsketten. Für das Erreichen der Klimaziele ist es also unabdingbar, auch die Höhere Berufsbildung mit ihren wertigen und praxisnahen Abschlüssen weiter zu stärken. Es wäre daher gut, wenn die auf den Weg gebrachten Verbesserungen beim Aufstiegs-BAföG noch verabschiedet würden.   
  • IHK-Zertifikatslehrgänge: Die berufliche Weiterbildung hat noch mehr zu bieten: So sind zum Beispiel bundeseinheitliche IHK-Zertifikatslehrgänge ein bewährtes Instrument, um kurzfristige und zugleich spezifische Qualifizierungsbedarfe in den Betrieben zu decken. Angebote wie beispielsweise "Fachexperte für Wasserstoffanwendungen (IHK)" oder "Betrieblicher Klimamanager (IHK)" unterstützen die Beschäftigten dabei, betriebliche Transformationsprozesse kompetent zu gestalten.  
  • Fachkräfte aus dem Ausland: Angesichts des demografischen Wandels gilt es, weitere Ressourcen zu nutzen. Dabei spielt die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland eine wichtige Rolle. Für die Zuwanderung aus Drittstaaten sind schlankere, schnellere und bürokratiearme Verwaltungsverfahren von großer Bedeutung. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz bietet gute Ansätze, muss sich jedoch nun in der Praxis bewähren. 
  • Vereinbarkeit: Zudem ist es wichtig, die Potenziale einer umfangreicheren Erwerbstätigkeit von Frauen wie auch von älteren Beschäftigten für die Transformation noch stärker zu heben. Für ersteres ist insbesondere eine gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf von großer Relevanz. Hier steht vor allem der weitere Ausbau eines flexiblen und qualitativ hochwertigen Angebotes an Kinderbetreuung im Vordergrund. 
  • Lebensarbeitszeit: Mit Blick auf eine stärkere Beschäftigung Älterer sollten Anreize zum frühzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben – wie etwa die Rente für besonders langjährig Versicherte – konsequent abgebaut werden. Darüber hinaus sollte eine unbürokratische Weiterbeschäftigung von Rentnern etwa im Zusammenhang mit Befristungsmöglichkeiten möglich werden. Auch wäre eine Kopplung des allgemeinen Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung sinnvoll. 

Kontakt

Porträtbild Julia Flasdick, Referatsleiterin Fachkräftesicherung | Weiterbildung
Julia Flasdick Referatsleiterin Hochschulpolitik, Forschungs- und Strukturfragen

Kontakt

Porträtfoto Jochen Reinecke
Jochen Reinecke Referatsleiter Technische Weiterbildung

Kontakt

Ohlig, Dominik_WEB
Dominik Ohlig Pressesprecher – Chef vom Dienst